Die NHLer kommen!

16.9.2012 - Von Martin Merk

Schon bevor der Lockout in der Nacht auf Sonntag offiziell wurde, gab es von einigen NHL-Clubs die letzten Vertragsunterzeichnung. Dazu wurden Dutzende von Spieler zu den Farmteams in die AHL geschickt. Die Welle an „Lockout-Spielern“ nach Europa kann den Spektakel ansteigen lassen, bringt jedoch auch Risiken mit sich.

18 Jahre ist es her, als unter anderem Doug Gilmour (Rapperswil) und Chris Chelios (Biel) beim kleinen Lockout in die Schweiz kamen. Nur gerade acht Jahre ist es her, als gar die gesamte NHL-Saison wegen des Arbeitsstreits um die Einführung einer Salärobergrenze und Umsatzbeteiligung ins Wasser fiel. Joe Thornton, Rick Nash und Niklas Hagman verhalfen dem HC Davos damals zum Meistertitel. Dany Heatley, Olli Jokinen und Daniel Brière gehörten zu den Stars. Selbst in der NLB waren Spieler wie Martin Gélinas, David Legwand oder Marc Savard zu sehen.

Nun kommt es zum dritten Lockout der Ära Gary Bettman. Die Saläre und Umsatzbeteiligungen seien zu hoch, die Vertragsdauer zu lang. Doch die Spieler wollen nicht für die Clubs bluten. Wie lange der Arbeitsstreit dauert, ist derzeit offen.

Kommt es nun wieder zur grossen Schwemme an Lockout-Spieler? Es gibt Gründe dafür und dagegen.

Dafür spricht, dass die NLA offen für die NHL-Spieler ist. In Schweden – wo die meisten europäischen NHL-Spieler herkommen – hat die Elitserien die Lockout-Spieler ebenfalls ausgesperrt. Temporärverträge sind nicht gestattet. Die zweithöchste Liga (Allsvenskan) zog ursprünglich nach, machte ihren umstrittenen Entscheid aber wieder rückgängig.

Die russische KHL, die zahlungskräftigste Liga ausserhalb der NHL, heisst NHL-Spieler willkommen, jedoch nur einheimische Spieler sowie Spitzen-Ausländer. Und nur drei pro Mannschaft.

Weitere Alternativen mit geringerer Zahlungskraft dürften etwa Deutschland, Finnland, die Slowakei und Tschechien sein, insbesondere für einheimische Spieler. Für Spitzenspieler rückt dagegen vor allem die National League A in den Vordergrund. Doch wird es auch so kommen?

Insbesondere Schweizer Spieler dürften sehr wohl in der NLA landen. Der SC Bern ist an einer Rückkehr von Yannick Weber sowie – falls er nicht im Farmteam spielen wird – Roman Josi interessiert. Dazu auch an Mark Streit, den auch die ZSC Lions gerne zurück möchten. Der EV Zug würde sich über eine Rückkehr einiger seiner Spieler – Damien Brunner, Raphael Diaz, Luca Sbisa – erfreuen. Auch Jonas Hiller könnte in der Schweiz unterkommen, während Sven Bärtschi und Nino Niederreiter ihren nordamerikanischen Weg in den Farmteams fortsetzen dürften.

Wie steht es mit den Ausländern? Kontakte sind bereits geknüpft, selbst wenn dies aus formaljuristischen Gründen immer dementiert wurde. So könnte etwa Joe Thornton wieder in Davos landen, wo er jeden Sommer vorbeischaut. Gerade in Russland kam es bereits zu einigen Vertragsunterzeichnungen.

Wer an NHL-Stars denkt, wird sich auch an zahlreiche Flops erinnern. Unvergessen etwa Anson Carter, der nach dem Lockout kam und den HC Lugano mit einem Club Med verwechselte und weit unter seinem Wert spielte. Auch viele andere NHL-Söldner wirkten bezüglich ihrer Leistung nicht wie von einem anderen Stern. Die Verpflichtung eines Lockout-Spielers kann also auch durchaus ein ärgerlicher Flop sein mit zu hohen Erwartungen und zu tiefem Ertrag.

Es gibt auch andere Faktoren, welche gegen eine Schwemme an Lockout-Spielern sprechen. Es wird vermutet, dass der Lockout nicht die gesamte Saison in Mitleidenschaft ziehen wird, sondern es eher zu einem Teilausfall kommt trotz der zur Zeit verhärteten Fronten. Dazu sind die Löhne signifikant gestiegen und entsprechend hoch wären die Versicherungskosten bei der Verpflichtung von Superstars. Falls die Nachfrage in Europa nach NHL-Saisonniers nicht gross genug ist, müssen einige Spieler allenfalls selbst bei der Versicherungsdeckung mithelfen, falls sie Spielpraxis auf hohem Niveau wollen.

Auch reglementarisch ist die NLA nicht mehr so freundlich wie vor acht Jahren. NLA-Clubs dürfen nur noch acht Ausländer-Lizenzen pro Saison lösen. Mehr als ein oder zwei Lockout-Ausländer dürften somit gar nicht drinliegen. In der NLB wäre man diesbezüglich offener, doch bei den meisten Clubs lassen die Finanzen ohnehin keine grossen Sprünge zu. Vor acht Jahren griff einzig Forward Morges gross zu – und war ein Jahr später konkurs.

Dann wären wir schliesslich bei den Finanzen. Wägt man Vorteile wie Spektakel und im optimalen Fall Verstärkung mit den erwähnten Nachteilen und den Kosten ab, darf die Frage gestellt werden, ob sich solche Verpflichtungen überhaupt lohnen. Spektakel gab es zwar vor acht Jahren, doch auf die Zuschauerzahlen hatte dies kaum Einfluss, sie blieben im Trend eines sanften und stetigen Wachsums. Allenfalls wurden mehr Trikots verkauft. Die Lockout-Saison zeigte zudem, dass in der NHL auch mit Wasser gekocht wird. Einige Spieler schlugen ein, während andere Rollenspieler waren, die nicht den Anforderungen und der Erwartungshaltung an NLA-Ausländer taugen.

Clubs, die der Verlockung NHL und einem gewissen Druck Spieler verpflichten zu „müssen“ nicht widerstehen können, laufen damit Gefahr Geld aus dem zu werfen. Dies ist man sich zwar schon gewohnt. Etwa in Ambrì oder Kloten gab es Millionenlöcher in nur einer Saison. Solche gibt es auch andererorts, wo diese aber zumindest zuverlässig von Privatpersonen gestopft werden. Kommt es zum Lockout, könnte es bei einigen unvorsichtig agierenden Clubs zu einer Zuspitzung der ständigen Finanzmiseren kommen.

Gewinner und Verlierer gibt es aber auch auf dem Eis. Während Linienpartner sehr wohl von Lockout-Spielern profitieren können – welcher NLA-Spieler würde schon nicht gerne an der Seite mit einem Joe Thornton stürmen? – müssen sich andere mit weniger Eiszeit zufrieden geben oder landen aufgrund des Lockouts anderswo, etwa in der NLB. Dort können dadurch ebenfalls Spieler aufs Abstellgleis landen. Diese Hierarchieverschiebungen können auch für Unstimmigkeiten sorgen.

Ob es sich wirklich lohnt, Geld in temporäre NHL-Söldner zu investieren, die dann in der Kasse fehlen, oder die man auch in den Nachwuchs stecken könnte?

Es ist daher anzunehmen, dass nach der letzten Erfahrung weniger Lockout-Spieler in der Schweiz und in Europa allgemein landen werden. Beste Karten haben einheimische Europäer, die zu ihren früheren Clubs wechseln (ausser die Schweden) oder Spieler, die wirklich positive Spuren in Europa hinterlassen wollen und dafür auf monetäre Wunschvorstellungen verzichten. Es werden eher individuelle Verstärkungen sein als die Schwemme an Spielern wie vor acht Jahren. Und das ist auch gut so.