Nela – oder wie macht man einen Supertalent?

8.1.2024 - Von Martin Merk

Sie war als 14-Jährige die wertvollste Spielerin der letztjährigen U18-Frauen-WM und somit sind auch dieses Jahr die Augen auf sie gerichtet: die slowakische Stürmerin Nela Lopusanova. Und sie ist ein gutes Anschauungsbeispiel für die Entwicklung eines potenziellen, zukünftigen Superstars.

Wenn das Schweizer U18-Frauennationalteam am Mittwoch auf die Slowakei trifft, trifft sie auf einen bekannten Gegner der letzten Zeit. Einen, den sie besiegten kann wie beim 2:1-Testspielsieg in der Slowakei im vergangenen November, oder gegen den sie auch verlieren kann wie bei der 1:4-Niederlage bei der letztjährigen WM. Ein grosser Unterschied zwischen den beiden Spielen war Nela Lopusanova, die im November fehlte, aber vor einem Jahr drei Tore schoss und beim vierten den Assist gab.

Nun ist die MVP der letzten WM wieder dabei, nachdem sie auf diese Saison hin in die USA gewechselt ist. Dort spielt die heute 15-Jährige in einem U19-Frauen-Team. Nicht nur international beeindruckte sie letzte Saison. Bei ihren acht Spielen in der höchsten Frauenliga der Slowakei kam sie auf 28 Tore und 21 Assists für ihre Heimatstadt Zilina, hatte mit 6,13 Punkten mit grossem Abstand die meisten Punkte pro Spiel. Die meiste Zeit verbrachte sie jedoch mit den Jungs in der höchsten U16-Liga des Landes – und dominierte auch unter gleichaltrigen oder älteren Jungs. In 19 Spielen kam sie auf 24 Tore und 32 Assists. Damit war sie Topscorerin ihres Teams und von allen Spielern der Liga, die mindestens die Hälfte der Spiele bestritt, hatte sie mit 2,95 Punkten pro Spiel ebenfalls den höchsten Wert. Es sind Zahlen, die für ein Mädchen auf diesem Niveau bislang ungesehen waren. Selbst bei ihrem Debüt im Frauen-Nationalteam erzielte sie auf Anhieb einen Hattrick in einem Testspiel gegen Ungarn. Der slowakische Verband hätte sie noch so gerne bei der letzten Frauen-WM eingesetzt, doch der internationale Eishockeyverband IIHF kannte bezüglich der Altersgrenze von 15 kein Pardon – und die Slowakinnen stiegen ohne ihren Youngster ab.

Mit ihren neun Toren in fünf Spielen war die junge Slowakin das Phänomen des letzten Turniers, auch weil sie diese mit Leichtigkeit herausspielte bis hin zu einem Airhook-Tor gegen Schweden, der viral ging. Damit hat sie sich schon Jahre bevor sie in einer Universität eintreten kann in die Notizbücher der Scouts der College-Teams gespielt. Oder der neuen Profiliga PWHL.

Das neue Aushängeschild der im Fraueneishockey bestenfalls mittelmässigen Slowakei ist auch ein Anschauungsbeispiel für Talententwicklung. Wie macht man einen Hockeystar? Diese Frage haben sich eifrige Hockeyeltern, Trainer, Nachwuchsverantwortliche und Verbandsfunktionäre schon immer gestellt, egal ob bei Mädchen oder Buben. Und je nachdem wer sich die Frage stellt, gibt es unterschiedliche Antworten vom individuellen bis zum nationalen Level.

Auf individueller Basis braucht es beim Kind Talent, ein gesunder Körper und gesunde Ernährung, Arbeit, aber vor allem auch viel Freude am Spiel sowie einen Eigenantrieb sich stetig zu verbessern und Herausforderungen anzunehmen – wie etwa es als 14-jähriges Mädchen mit den besten 16-jährigen Jungs des Landes aufzunehmen.

Auf Club oder nationaler Ebene geht es darum Kinder mit Spass am Spiel zu trainieren, aber auch Talente, die mehr können und mehr wollen zu fördern und auf bestmöglichem Niveau spielen zu lassen. Vor allem aber muss man sie zuerst entdecken und für den Sport begeistern. Dies ist ein erstes und im Frauenhockey grosses Hindernis, denn oftmals fehlt es an Akzeptanz an Eishockey für Mädchen und Frauen, so dass diese kaum in Kontakt mit den Sport kommen, wenn nicht etwa über den Bruder.

Ich kann mich gut an eine Situation vor 13 bis 14 Jahren erinnern, als der internationale Eishockeyverband IIHF vor einem Richtungswechsel im Frauenhockey stand. Ein 18:0-Sieg Kanadas gegen die Slowakei bei den Olympischen Winterspielen 2010 vor den Augen des damaligen IOK-Präsidenten Jacques Rogge sorgte für Aufruhr und man stellte die Drohung im Raum, Frauen-Eishockey aus dem Programm der Olympischen Spiele zu streichen. Der damalige IIHF-Präsident René Fasel versprach spontan eine Spritze von zwei Millionen Franken für Förderprojekte im Frauenhockey, die fortan entwickelt wurden. Darunter waren etwa Leistungssportcamps für U18-Spielerinnen. Aber auch ein weniger kostspieliges Projekt, dafür mit längerem Horizont, an welchem der Schreiber selbst mitwirkte: Das «World Girls’ Ice Hockey Weekend». Es kombiniert den sportlichen Teil von Rekrutierungsevents rund um die Welt mit den Möglichkeiten der Online-Promotion – die vielen glücklichen Gesichter zeigen, die auch Mädchen auf dem Eis haben. Jahr für Jahr nahmen jeweils an einem Wochenende im Oktober tausende von Mädchen in teils über 30 Länder teil, von Brasilien bis Japan, von Island bis Neuseeland. Aus der Schweiz machten leider nur sehr wenige Clubs mit, wenn überhaupt, dafür übernahm die Swiss Ice Hockey Federation ein paar Jahre später das Konzept, um den «Swiss Ice Hockey Day» nach demselben Modell zu initiieren, nicht als Event für Mädchen unter sich, aber für Kinder allgemein.

Jahre später zeigt sich international eine Wirkung der steten Promotion international, national und lokal. Das Verhältnis zum Frauenhockey hat sich gebessert, der Anteil an Frauen im Sport sich erhöht und es gibt mehr Spielerinnen vor allem ausserhalb Nordamerikas (wenn auch immer noch deutlich weniger als in Kanada und den USA). In Europa stiegen die Zahlen von 2011 bis 2021 von rund 20'000 auf 34'000 Spielerinnen, in Asien von 3900 auf 5700, im Rest der Welt von 900 auf 1900.

Wenn der Effekt nach Jahren ankommt, bedeuten mehr Spielerinnen eine wettbewerbsfähigere Liga, mehr Breite für Nationalteams, aber auch eine höhere Chance, Aushängeschilder und Spektakelmacherinnen für den Sport zu entwickeln. Und dies bringt und zurück zu Nela Lopusanova. Noch lange bevor sie mir Wundertoren bei Weltmeisterschaften von sich reden machte, landete sie bereits als 4-Jährige auf der IIHF-Webseite. Sie gehört zu den ersten Top-Spielerinnen, die durch solche Rekrutierungsevents ging. Auch weil ihr Club in ihrer Heimatstadt Zilina sich in dieser Initiative von Beginn an initiativ zeigte, beim ersten Event im Jahr 2012 nicht weniger als 120 Mädchen anlockte und auch Top-Spielerinnen und Profispieler mitwirkten, um einen möglichst schönen und grossen Hockeytag mit vielen strahlenden Kinderaugen zu haben. Eines dieser Mädchen war Lopusanova mit einem Foto mit Hello-Kitty-Shirt und Jööö-Effekt. Und nun ist sie in immer noch jungem Alter das Aushängeschild des slowakischen Frauenhockeys.

Wie kam diese Entwicklung? Dass sie früh zum Spiel fand, schadete nicht, aber ist nicht alles. «Sie ist ein natürliches Sporttalent», sagte ihre erste Trainerin Maria Zemiakova. «Und ihre Eltern halfen ihr sehr ihr Talent zu entwickeln. Sie unterstützten eine multisportive Entwicklung und vermieden es, sie zu überlasten.» Neben Eishockey spielte sie lange auch Unihockey und Fussball, fand dann aber wie ihr sechs Jahre älterer Bruder im Eishockey am meisten Freude. Seit diesem Event hat sich die Zahl der Eishockeyspielerinnen in der Slowakei fast verdreifacht. Die Clubs, die jährlich auf grosse Rekrutierungsrunde gingen, stieg von damals drei auf 16. Sollte sich die Slowakei nach Jahren der Zweitklassigkeit im Frauenhockey unter den Topnationen etablieren mit einer neuen Generation an Spielerinnen, dann wird das auch das Produkt von starken Bemühungen sein und ein Lohn, den man Jahre danach ernten kann. Jahre, nachdem man mit einer 0:18-Niederlage in Vancouver Änderungen im Frauenhockey auf internationaler Ebene, aber als Folge auch daheim hervorgerufen hat.

Gerade was Rekrutierung anbelangt, sind die Slowakinnen ein gutes Beispiel auch für grössere Länder wie die Schweiz, die sich am Mittwoch für die Niederlage im Vorjahr revanchieren möchte. Wichtig dabei wird auch sein, Nela Lopusanova unter Kontrolle zu halten. Die Schweizer Nationalteamkapitänin Lara Stalder, die als EVZ-Spielerin und -Angestellte in der Turnierorganisation mitwirkt, sagte kürzlich dazu in einem Interview mit uns: «Die sozialen Medien fokussieren sich auf Highlights. Aber es steckt ein ganzes Team dahinter. Die Schweiz kann dagegenhalten als ganzes Team, damit man so eine Einzelspielerin neutralisieren kann.»

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Magierin Nela


Nela Lopusanova bestreitet als 15-Jährige ihre zweite U18-Frauen-WM. Im Vorjahr wurde sie zur wertvollsten Spielerin gewählt. Foto: JustPictures.ch / Vedran Galijas


Nela Lopusanova als 4-Jährige beim Rekrutierungsevent des World Girls' Ice Hockey Weekend in Zilina. Foto via Maria Zemiakova