Schmerzen für Biel

19.10.2017 - Von SLAPSHOT/Matthias Müller - SLAPSHOT Ausgabe Nr. 2, Okt./Nov. 2017

Im Frühling 2008 ist der EHC Biel zum letzten Mal in die National League aufgestiegen. Seither hat er sich langsam vom Abstiegskandidaten zum Mittelfeldteam gemausert. Die Transformation kann man auch am Kader ablesen. Neben Captain Mathieu Tschantré ist nämlich nur noch ein Spieler aus dieser Zeit dabei: Philipp Wetzel, der ultimative Teamspieler.

«Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.» Dieses Zitat des deutschen Gelehrten Wilhelm von Humboldt stammt zwar noch aus dem 18. Jahrhundert, ist aber universell anwendbar und gilt heute noch genauso wie damals. Der EHC Biel der letzten zehn Jahre war sich seiner Geschichte sehr wohl bewusst und dementsprechend aufgetreten: zurückhaltend, vorsichtig, demütig. Gleichzeitig hat sich aber auch der harte Kern der Mannschaft, der 2008 die Aufstiegs- und danach zwei Ligaqualifikationsschlachten miteinander geschlagen hatte, stetig verkleinert. Ja, zuletzt wurde vor einem Jahr mit Trainer Kevin Schläpfer auch noch der wichtigste Akteur dieser Zeit entlassen. Heute, da die Mannschaft im modernsten Stadion der Schweiz spielt, ein Goalie wie Jonas Hiller zwischen den Pfosten steht und mit Beat Forster ein sechsfacher Schweizer Meister die Abwehr orchestriert, der gerade heraus sagt, dass er mit Biel den Titel gewinnen will, sind von den damaligen Kriegern nur noch Mathieu Tschantré und Philipp Wetzel dabei. «Nur» zwei Teamspieler, dürfte man meinen. Aber vielmehr eben auch zwei Spieler, die angesichts der eingangs zitierten Humboldtschen Erkenntnis für diese ambitionierte Mannschaft ungemein wichtig sind.

Die Rolle nie verlassen

«Die Mentalität hat sich definitiv verändert», sagt Philipp Wetzel. «Wir sehen uns nicht mehr als Aufstiegsklub. Wir verfolgen heute höhere Ziele, wollen vorne mitspielen.» Tatsächlich macht es durchaus Sinn, dass ausgerechnet er und Tschantré noch mit an Bord sind. Die Bieler Abgänge der letzten Jahre waren oft entweder talentiertere Spieler, die an anderen Orten ihr Können in mehr Geld verwandeln konnten, oder solche, die alters- oder verletzungsbedingt zurücktreten mussten. Integrationsfigur Tschantré und Kämpfer Wetzel hingegen haben ihre Rollen stets gekannt und gepflegt. Deshalb konnten sie ihren Wert immer auf dem gleichen Niveau halten. «Ich habe immer konsequent mein Spiel gespielt und nie versucht, etwas zu sein, was ich nicht bin. Das hat mir sicherlich geholfen, so lange in der National League zu bleiben», sagt der 32-jährige Philipp Wetzel, der seit 2007 für die Seeländer spielt und nun, da sein Vertrag Ende Saison wieder einmal ausläuft, nur zu gerne ein weiteres Mal verlängern würde. Sich selbst bleiben – für den Berner war es das Erfolgsrezept. Wenn er von seinem Spiel spricht, dann geht es in erster Linie darum, für die Mannschaft die Knochen hinzuhalten, vor dem gegnerischen Tor Schläge einzustecken und in der eigenen Zone Schüsse zu blocken. Oder, etwas zugespitzt formuliert, Schmerzen zu ertragen. Im Gegensatz zu vielen anderen Spielern, die im Zuge ihres Alterungsprozesses in solche Rollen abrutschten, hatte er sie schon im Juniorenalter beim SC Bern inne. Das wiederum hat zum einen mit seiner beeindruckenden Postur (104 Kilogramm auf 198 Zentimeter), zum anderen wohl auch mit seinen nur durchschnittlichen Talent zu tun. «Ich war schon immer der für die Drecksarbeit», erinnert er sich. Und: «Früher war das vielleicht noch eher speziell als heute, da diese Aufopferungsbereitschaft von allen Spielern erwartet wird.»

Mit der höheren Qualität der Spieler und den grösser gewordenen Endzonen seien solche Tugenden nämlich nicht mehr nur von Spezialisten, sondern von allen gefragt. Den Respekt, den er für seine Verdienste erhält, mag in der Öffentlichkeit und auf der Lohnabrechnung überschaubar sein, teamintern ist er freilich sehr gross. Wenn ihm, wie im Saisonauftaktspiel gegen den EHC Kloten, ein spielentscheidendes Tor gelingt, geniesst er dafür eine andere Art von Wertschätzung, als sie etwa ein Ausländer, der explizit für Tore bezahlt wird, erfahren würde. «Am meisten überrascht, war ich darüber ja selber», sagt Wetzel über den für ihn doch ziemlich atypischen Sololauf und schiebt dann schmunzelnd an: «Aber es war schon so, die Jungs hatten ihre Freude.»

McNamaras Auftrag

Aus diesem Tor kann man indessen noch einen anderen Schluss ziehen. Denn ganz so zufällig, wie es Philipp Wetzels obige Aussage suggerieren mag, war es eben auch nicht gefallen. «Der Trainer hat mir gesagt, ich solle versuchen, mich wenn möglich auch in der Offensive einzubringen. Und das habe ich getan», erklärt der Flügel und bestätigt damit zumindest indirekt, dass Mike McNamara, der Mann der in Biel das schwierige Erbe von «Hockeygott» Kevin Schläpfer angetreten hat, das Spiel des Teams weiter geöffnet hat. Mit Erfolg, denn schliesslich haben die Bieler nicht nur die abgelaufene Qualifikation spielerisch gemeistert, sondern auch einen sehr respektablen Start in die neue Saison hingelegt. «Mike hat ein gutes Gespür für die Spieler und kann ein Team sehr gut lesen», lobt Wetzel, der vor zehn Jahren noch in der NLB von Kevin Schläpfer nach Biel geholt worden war. «Eine Trainerentlassung ist immer eine harte Sache, vor allem in einem solchen Fall. Aber Mike McNamara hat uns einen Schritt weitergebracht.»

Wie weit es die Mannschaft noch bringen kann? Zum Titel, wie es Beat Forster gegenüber den Medien im Vorfeld der Saison so offensiv kundtat? In dieser Frage gibt sich Philipp Wetzel ziemlich zurückhaltend. Er sagt zwar, es sei gut, dass einer wie Forster seine Mitspieler ein wenig kitzeln wolle. Und dass natürlich jeder Hockey spiele, um zu gewinnen. Dennoch beschleicht einen das Gefühl, als trete hier noch die zurückhaltende Art der alten Bieler Haudegen zutage, die über all die Jahre für einen Klub gespielt hatten, der dem Abstieg genauso nahe war wie den Playoffs. Kann einer wie er einfach nicht aus seiner Haut? «Ach was», sagt Philipp Wetzel. «Zitieren Sie mich ruhig: Ich will mit dem EHC Biel Meister werden.»

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Wetzel

Philipp Wetzel ist einer von zwei verbliebenen Aufstiegshelden von 2008 im Kader des EHC Biel. Foto: Christoph Perren

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