Der grosse Irrtum des Coach-Entlassungs-Effekts

21.2.2011 - Von Thomas Roost

Auch in dieser Saison wurden in unserer Liga bereits fünf Coaches aus laufenden Verträgen entlassen und ausgetauscht (Colin Muller, Philippe Bozon, Benoit Laporte, Christian Weber und Serge Pelletier). Bringen die Retter die Mannschaften zurück nach vorne? Nein, sagt der Personalfachmann und NHL-Scout Thomas Roost in seiner Analyse. Es seien klassische Fehlentscheidungen denen ein menschlicher Reflex zugrunde liegt, dem wir auch in der Wirtschaft, im Alltag und bei uns selbst immer mal wieder auf den Leim kriechen.

Wir wissen mittlerweile, dass Trainerwechsel mittel- bis langfristig keine besseren Resultate bringen. Danke an dieser Stelle den nordamerikanischen Studien, die sich dieser Frage wissenschaftlich gewidmet und klare Resultate aufgezeigt haben. Als unverrückbare These hält sich jedoch, dass Coachwechsel kurzfristig erfolgreich sind und die Beispiele von Kevin Constantine bei Ambri und jüngst Igor Pawlow bei den Rapperswil-Jona Lakers scheinen diese These zu stützen. Aber aufgepasst: Dies ist ein so genannter „Regression-zur-Mitte-Irrtum“.

Eine Eishockeymannschaft weckt aufgrund ihres theoretischen Potenzials Erwartungen an bestimmte Leistungen, völlig egal ob dies eine auf dem Papier schlechte oder gute Mannschaft ist. Im Verlaufe einer Saison gibt es Phasen in denen diese Erwartungen erfüllt, übererfüllt und nicht erfüllt werden. Dies ist ein normaler Vorgang. Man unterliegt natürlichen Leistungsschwankungen.

Wenn wir selbstkritisch genug sind, können wir dies auch an uns selbst feststellen. Diese Schwankungen bei Eishockeyteams werden zusätzlich verstärkt durch Verletzungen von Leistungsträgern in der eigenen, aber auch in gegnerischen Mannschaften. Gesetzten Falls das ein Team beginnt die Saison mit einer Phase des „Nichterfüllens“ und hat zudem das Pech, dass zwei Leistungsträger verletzt ausfallen: Diese Mannschaft wird als potenzielles Mittelfeldteam vom Tabellenende winken und wahrscheinlich den Coach auswechseln. Was passiert dann? Selbstverständlich erfolgt früher oder später eine Phase des „Erfüllens“ oder des „Übererfüllens“. Falls just in diesem Moment auch der eine oder andere verletzte Leistungsträger zurückkehrt wird sich das Team sehr bald vom Tabellenende in Richtung Mittelfeld bewegen und die Vereinsverantwortlichen klopfen sich auf die Schultern, denn sie sind überzeugt, dass ihr Entscheid des Coachwechsels für diese Leistungssteigerung verantwortlich sei. Ein fataler Irrtum, eben der so genannte „Regression-zur-Mitte-Irrtum“. Wenn ein mittelmässig besetztes Team am Anfang der Saison vom Tabellenende winkt, dann ist es wahrscheinlich, dass sich eben dieses Team am Ende der Saison ungefähr im Mittelfeld wieder findet, ob mit oder ohne Coachwechsel ist unbedeutend, wenn da nicht die zusätzlichen – unnötigen und vermutlich nicht budgetierten – Kosten wären, die bei einem Coachwechsel anfallen.

Ein anderes Beispiel: Sie spielen Golf mit einem Handicap 12. Immer wenn ihr Spiel miserabel war buchen sie eine Lektion bei ihrem Golflehrer und siehe da, immer nach dieser Lektion spielen sie wieder besser und schon unterliegen sie dem Irrtum, dass ihnen eine Golflektion direkt zu einem besseren Spiel verhilft. Ein Tipp: Buchen Sie mal eine Golflektion nachdem sie über ihren Verhältnissen gut gespielt haben und sagen sie mir dann welche unmittelbaren Resultate sie danach erzielt haben.

Diesem „Regression-zur-Mitte-Irrtum“ liegt die menschliche Sehnsucht zugrunde, alles kontrollieren und beeinflussen zu können. Wir glauben, für 95% aller Probleme auf diesem Planeten die richtige Antwort zu kennen, tatsächlich wissen wir sehr viel weniger als uns lieb ist. Eishockey ist eine dankbare Schaubühne für dieses menschliche Verhalten.

Wenn das Powerplay nicht funktioniert, wird Powerplay trainiert. Wenn der Goalie schwächelt, wird ein Goalietrainer engagiert und wenn das Problem scheinbar im „Kopf“ liegt, dann behilft man sich mit einem Mentaltrainer. Auf alles und jedes haben die Trainer, die Präsidenten, die Medienvertreter und die Zuschauer eine Antwort und wehe ein Coach sagt mal ehrlich, dass er auf dieses oder jenes Problem keine Antwort hat - was ihn zweifellos ehren würde - dann wackelt sein Stuhl sehr bedenklich.

Bitte denken sie mal über diese unspektakuläre These nach bevor sie sie verwerfen. Bitte überprüfen sie kritisch die Nachhaltigkeit von so genannt „richtigen“ Massnahmen. Die Powerplay-These ist ein sehr gutes Beispiel. Es gibt Phasen im Verlaufe einer Saison, in denen das Powerplay sehr gut und Phasen, in denen es gar nicht funktioniert und dies mit exakt derselben personellen Besetzung und unabhängig von spezifischem Powerplay-Training oder nicht, wetten?

Fazit: Wenn sie Sätze hören wie „wir haben schwach gespielt, dann haben wir den Coach gewechselt und jetzt spielen wir besser, demnach hat uns der Coachwechsel geholfen“ - oder „meine chronischen Schmerzen waren am Donnerstag so stark wie noch nie, ich ging darum zum Chiropraktiker und jetzt fühle ich mich dank dem Chiropraktiker besser“ ist vermutlich der „Regression-zur-Mitte-Irrtum“ im Spiel.

Selbstverständlich soll man von Zeit zu Zeit den Coach auswechseln, neue Impulse finden, den Bestmöglichen verpflichten, ausser man hat ihn bereits und man ist sicher, dass er auch für die nächsten Jahre der Bestmögliche ist. Ich bin aber überzeugt, dass eine Coachentlassung aus einem laufenden Vertrag in mehr als 90% der Fälle der falsche Entscheid ist, weil er ökonomisch nicht zu rechtfertigen sein wird und sportlich – wie gesagt – nur scheinbar kurzfristig zu besseren Resultaten führt.

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Trainerwechsel

Unter anderem in Raperswil mit Igor Pawlow setzt man auf einen Trainerwechsel. Foto: Thomas Oswald

Unter anderem in Raperswil mit Igor Pawlow setzt man auf einen Trainerwechsel. Foto: Thomas Oswald
 

Puck-Dreams

Der Schweizer NHL-Scout Thomas Roost hat diesen Sommer die neue Auflage von "Puck-Dreams - Der steinige Weg in die „Big League“,die legendäre NHL" veröffentlicht und befasst sich unter anderem mit dem Thema Schweizer und die NHL. Er sucht nach Gründen, wieso sich bis jetzt erst sehr wenige Schweizer Spieler in der NHL durchsetzen konnten. Darüber hinaus findet der Leser Erkenntnisse aus der übergeordneten Talentmanagement-Forschung. Wie wird aus einem Talent ein Weltklasse-Performer? Es finden sich wertvolle Tipps für Eishockeytalente und alle die das Ziel haben, in ihrer Disziplin Weltklasse werden zu wollen.

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