Der Kompromisslose

19.3.2018 - Von SLAPSHOT/Matthias Müller - SLAPSHOT Ausgabe Nr. 6, März/April 2018

Der ehrgeizige Schwede Fredrik Pettersson ist der wichtigste Einzelspieler der ZSC Lions und hebt sich aus einem spielerisch talentierten Team dank seiner entschlossenen und direkten Spielweise wohltuend ab. Seinen Vertrag in Zürich hat er kürzlich um drei Jahre verlängert. Vor allem, weil er endlich einmal gewinnen will.

Weil es so verlockend ist, werfen wir zu Beginn doch einfach rasch die Frage in den Raum, was gewesen wäre, wenn Fredrik Pettersson an den Olympischen Spielen für die Schweiz gespielt hätte. Die Schweiz, die ein Powerplay aufzog, in dem niemand Verantwortung übernehmen wollte und für das im Nachgang sogar Trainer Patrick Fischer das Attribut «schlecht» noch untertrieben fand. Und Pettersson, der in der National League im Powerplay mehr als jeder andere spielt, mehr als jeder andere aufs Tor schiesst und mehr als jeder andere trifft. Was wäre gewesen, wenn Pettersson in den 12 Minuten Überzahl im Achtelfinale gegen den späteren Finalisten Deutschland auf dem Eis gestanden wäre? Nun, vor Ort wäre Fredrik Pettersson ja gewesen. Und Zeit hätte der Schwede auch gehabt. Im Tre-Kronor-Team spielte er nur in der vierten Linie in einer reinen Energie-Rolle, über ein paar Minuten Eiszeit pro Spiel kam er nicht hinaus. Im letzten Spiel, der Viertelfinalniederlage gegen Deutschland, gewährten ihm die Trainer 4(!) Einsätze. «Es war schwierig, ich hätte gerne mehr gespielt», meint Pettersson lapidar und schiebt nach einer kleinen Denkpause nach: «Ja, ich hätte mehr spielen sollen.» Dass die Schweden deutlich unter den Erwartungen blieben und nicht einmal um die Medaillen spielten, machte die ganze Sache auch nicht einfacher. «Ich habe die Rolle akzeptiert und Energie gebracht. An einem Grossturnier sollte man als vierte Linie keine Tore kassieren. Ich denke, das war okay», resümiert Pettersson. Ob – und falls ja – wieviel Zynismus in dieser Aussage steckt, sei an dieser Stelle dem Urteil des Lesers überlassen. Unbestritten ist jedenfalls, dass sie vor Enttäuschung regelrecht trieft. Fredrik Pettersson, der zweitbeste Skorer unser Liga und Leitwolf der ZSC Lions mit fast 20 Minuten Eiszeit pro Spiel, kommt ans olympische Turnier und soll in einer vierten Linie während ein paar Shifts Tore verhindern? Im Volksmund würde man von vor die Säue geschmissenen Perlen sprechen.

Punkte und etwas mehr

Die ZSC Lions wiederum dürfte das kaum stören. Dass sich Pettersson nicht von Enttäuschungen kleinkriegen lässt, hat er ja schon genug bewiesen. Er kämpfte sich mit einer verhältnismässig untersetzten Statur ins Profihockey, versuchte sich gleich zwei Mal in Nordamerika und in Russland. Als er im Vorjahr eine schwierige Situation bei Nishny Novgorod zu bewältigen hatte – man hatte ihn geholt, nur um ihn gleich wieder abstossen zu wollen –, hielt er dem Druck stand und pochte erfolgreich auf seinem Recht. Und nun, da man bei den ZSC Lions in einer schwierigen Saison samt Trainerentlassung von ihm vor allem Skorerpunkte erwartete, liefert er genau diese und sogar noch etwas mehr: Pettersson war in der Regular Season nicht nur der beste Torschütze der Liga, sondern auch die treibende Kraft und der wichtigste Einzelspieler seiner Mannschaft. Seine Energie und seine Entschlossenheit haben den zögernden, verspielten und phasenweise orientierungslosen Lions nicht selten doch noch den Weg zu den Punkten gewiesen. Ohne ihn, das lässt sich schon rein statistisch belegen, wären die Zürcher Gefahr gelaufen, die Playoffs zu verpassen. Dabei ist es vor allem der Kontrast, der den Schweden speziell in Zürich so wertvoll macht. In einem Kollektiv, in dem auf dem Papier das Talentierte und Schöne (zwar nicht mehr ganz so stark wie auch schon, aber immer noch) überwiegt, braucht es offensichtlich genauso einen wie ihn: einen akribischen Leitwolf, der unerbittlich voran und zurückgeht. Natürlich, der 30-Jährige muss sich in Sachen Speed, Technik und Übersicht alles andere als verstecken. Doch seine grösste Stärke ist schlicht seine Präsenz, die bis zu einem gewissen Grad auch als Dominanz verstanden werden kann. Der Wille, das Geschehen an sich zu reissen, den Puck zu erkämpfen, ihn zu fordern, um dann kompromisslos nach vorne zu ziehen. Das Demonstrative Stretching vor und nach den Dritteln, die kleinen Hockeybögen und Drehungen, die er vor dem ersten Puckeinwurf macht, seine vielen Ansprachen an die Teamkollegen auf dem Eis – all das mag von aussen betrachtet etwas arrogant oder eigenbrötlerisch wirken. Ist es aber nicht. Es ist einfach nur der Stil eines Spielers, der in seiner Sache kompromisslos ist und in der Hockeywelt dennoch den Ruf geniesst, ein echter Teamspieler zu sein.

«Bin nicht der beste Schütze, aber...»

«Ich musste schon als junger Spieler immer kämpfen, um aufzufallen», erklärt der Flügel aus Göteborg. Seine Grösse war sein vermeintlicher Schwachpunkt, den es ständig wettzumachen galt. Als talentierter Junior tat er das mit Skoren, an der Schwelle zum Profitum mit Körperspiel und Agitieren. «Ich hatte ein Elternhaus, das mir alles ermöglicht und mich nicht auf etwas Bestimmtes festgenagelt hat», sagt er, der in seiner Jugend polysportiv aktiv war und auch eine Karriere im Golf hätte anpeilen könne. «Doch mein Vater, ein Mann des Militärs, gab mir eine Maxime mit: Man gibt bei dem, was man macht, immer, und zwar ausnahmslos immer 100 Prozent.» Dank dieser Erziehung, seinem enormen Ehrgeiz und seinem Auslandsaufenthalt in der für ihre Physis bekannten kanadischen Juniorenliga WHL wurde aus ihm so etwas wie ein schwedisches Vorbild für Tristan Scherwey, der sich den Weg nach oben checkte. «Das war ziemlich intensiv und auch verletzungstechnisch nicht unproblematisch», blickt Pettersson zurück. Erst mit der Zeit, nach den ersten drei Profi-Jahren bei seinem Stammklub Frölunda, begann er sein Spiel anzupassen und seinen Fokus auf die offensive Produktion zu verschieben – selbstverständlich ohne dabei seine bisherigen Qualitäten aufzugeben. «Wie auch? Noch heute habe ich Mühe, 18 Minuten in der Pause einfach ruhig zu sitzen», sagt das Energiebündel. Und: «Ich bin beispielsweise nicht der beste Schütze, erkannte aber, dass ich Erfolg haben kann, wenn ich im Powerplay direkt schiesse. Also tue ich das. Immer und immer wieder.» So ermöglichte es ihm seine spielerische Entwicklung, die Welt zu entdecken und in der KHL, aber auch in der Schweiz gutes Geld zu verdienen. Nicht überall wurde er auf lange Dauer glücklich. In der AHL konnte er sich nicht für die NHL aufdrängen, in der KHL hatte er mal mit Verletzungen und mal mit den russischen Geschäftssitten zu kämpfen und in Lugano, wo er in den Playoffs 2016 trotz gebrochenem Daumen von Trainer Doug Shedden über Gebühr forciert wurde, blieb ihm der grosse Erfolg, der Meistertitel verwehrt. Es ist irgendwie die Ironie dieser Geschichte, dass ihn Rückschläge antreiben, seinen Ehrgeiz steigern, ihn noch mehr anheizen. Es ist für die ZSC Lions schön, dass es Fredrik Pettersson in Zürich ausserordentlich gut gefällt und dass er seinen Kontrakt bereits im Januar um drei Jahre bis 2021 verlängert hat. Er sagt: «Ich mag dieses Team, ich mag diese Fans und ich mag natürlich diese Stadt.» Was er aber vor allem mag, daraus kann einer wie er keinen Hehl machen, sind die Parameter und Maximen dieser Organisation. «Hier will man den Titel gewinnen, jede Saison. Wissen Sie, damals in Lugano, wir waren so nahe dran...» Er hält einen Moment inne. «Oh Mann, was würde ich für diesen verdammten Pokal geben.»

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Pettersson

Ob es den ZSC Lions läuft (wie in den Playoffs) oder nicht (wie in der Qualifikation), auf ihren PostFinance Topscorer Fredrik Pettersson ist immer Verlass. Foto: PPR/Walter Bieri

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