Berra: «Wir sind nicht mehr die kleine Schweiz!»

10.11.2023 - Von Martin Merk

Im Alter von 36 Jahren schwebt Reto Berra gerade auf einer Erfolgswelle. Statistisch ist er mit dem Tabellenführer Fribourg-Gottéron so stark wie noch nie und ist wieder zurück in der Nationalmannschaft um für ein WM-Ticket zu kämpfen.

Es war ein emsiges Treiben hinter dem Eis der Nokia Arena an diesem Nicht-Spieltag. Die Schweizer Nationalmannschaft trainierte in Vorbereitung auf die nächsten Spiele gegen Schweden und Tschechien. Spieler, Materialwärte und Putzequipen gingen rein und raus, wo sonst die Interviews stattfinden, und dazwischen auch ein lokales Mädchenteam auf dem Weg in die unterirdische Trainingshalle. Und schliesslich kam auch Reto Berra, der zurzeit stärkste Torhüter der Schweizer NL, aus den Katakomben der schmucken neuen Arena von Tampere. Dort, wo die Schweiz hoffte im Mai im Halbfinale zu spielen, nun mit etwas Verspätung aber zum Karjala-Turnier und dem Start der internationalen Saison auftritt.

Ganz gelungen war der Start mit der 0:4-Niederlage gegen den Gastgeber Finnland natürlich nicht. Doch der erfahrene Schlussmann hatte uns auch so viel zu erzählen zu seiner Rückkehr in die Nationalmannschaft und seine Ziele mit Fribourg-Gottéron.

Im Gegensatz zum Sieg Vorjahr gab es gegen Finnland eine klare Niederlage. Wo waren die Gründe und was habt ihr im Team diskutiert, was anders hätte laufen sollen?

Wir verschliefen den Start, hatten vielleicht zu viel Respekt. Man muss mit Mut auftreten gegen diese Nationen. Gegen Finnland, in Finnland, musst du sehr mutig spielen, nicht zu bescheiden, obwohl wir Schweizer das manchmal sind. Es ist wichtig, dass wir gegen die grossen Nationen mutig auftreten, das hat ein bisschen gefehlt, aber wir haben es nachher gut korrigiert. Wir hatten ein sehr gutes zweites Drittel und eigentlich auch ein gutes drittes Drittel, aber so wie Finnland spielt, ist es immer sehr schwierig, wenn man im Rückstand ist. Sie spielen ein 3:2 systemmässig und drum ist es immer extrem schwierig, wenn man einen Rückstand hat gegen Finnland.

Sie waren ja zuletzt nicht an der WM und jetzt sind sie wieder im Nationalteam. Was bedeutet das für sie?

Es ist mega schön. Nach dieser Verletzung und auch wenn ich an den Sommer denke, war die Nationalmannschaft weit weg. Dass ich im ersten Zusammenzug schon wieder das Schweizer Trikot anziehen darf, bedeutet sehr viel. Ich bin dankbar, dass meine Gesundheit so gut funktioniert, dass mein Rücken so gut funktioniert nach dieser schwierigen letzten Saison und Operation.

Ist ihr Rücken wieder völlig gesund oder merken sie noch etwas?

Nein, ich bin völlig gesund, darum spielte ich auch regelmässig. Ich glaube, am meisten in der NLA.

Haben Sie auch als ein Saisonziel im Hinterkopf, dass sie an der Weltmeisterschaft im Frühling dabei sein werden?

Ja, sicher ist das ein Ziel, jetzt da ich wieder aufgeboten und im Kreis der Nationalmannschaft bin. Aber es gibt vorher noch ganz viele andere Ziele, die wir mit dem Club erreichen möchten. Als Spieler denkt man mehr im Moment und das nächste Ziel ist es gegen Schweden zu gewinnen, alles Andere kommt nachher.

Ihr hattet nach der Niederlage gegen Finnland diskutiert und ein Training gehabt. Wie wir es morgen gegen Schweden sein und was macht ihr anders?

Wir hatten einem guten Fokus im Training. Wir wissen, dass wir gestern nicht gut begannen, kein Tor erzielten. Wir müssen offensiv noch mehr kreieren, obwohl wir gegen Finnland Chancen hatten. Da muss man auch ein Kompliment machen an ihre Defensive und ihren Torhüter, die ein sehr starken Spiel hatten. Wir wollen besser agieren vor ihrem Tor, dort sicher noch mehr kämpfen, dem Torhüter die Sicht nehmen, dort können wir uns einen Vorwurf machen, er hat sehr viel Schüsse klar sehen können und das sind international dann die Details. Von dem her haben wir uns sicher viel vorgenommen, wie immer nach einer Niederlage. Grosse Mannschaften schaffen es zu reagieren.

Beim Club läuft es ja sehr gut momentan. Man kann, wenn man die Tabelle mit letztem Jahr vergleicht, von einem plötzlichen Erfolg sprechen. Was ist das Geheimnis dahinter?

Es ist kein Riesengeheimnis. Wenn man den Saisonstart anschaut, hatten daheim gegen Lausanne ein Spiel und waren nach zwei Dritteln im Rückstand und haben das Spiel noch gewonnen. Im zweiten Spiel in Davos waren wir sogar mit zwei Toren hinten nach zwei Dritteln und haben das Spiel noch gewonnen. Ich würde sagen, dass dies uns enorm Selbstvertrauen gab, dass wir wussten, dass wir in jedem Spiel, auch wenn wir hinten sind, fähig sind um das Spiel gewinnen und so traten wir nachher auf und kamen in diesen Flow rein. Das ist die Geschichte unseres guten Starts.

Wie gross ist der Faktor Torhüter an diesem Erfolg? Ist auch eine Steigerung bei ihnen gegenüber der letzten Saison ein Grund, dass es so gut läuft?

Auch ich konnte Selbstvertrauen daraus tanken, dass wir solche Spiele wenden können und ich bin ein Teil dieser Mannschaft, nicht mehr und weniger, ob es gut läuft oder schlecht läuft. Klar ist man in meinem Job [als Torhüter] irgendwo durch ein bisschen Einzelsportler, aber trotzdem sind wir ein Teil der Mannschaft und ich bringe meinen Beitrag genauso wie die anderen. In den letzten Spielen vielleicht nicht mehr so, aber vor allem beim Start spielten wir extrem einfach und defensiv sehr sauber, was natürlich das Leben eines Torhüters enorm einfacher macht.

Der Traum vom ersten Meistertitel in Fribourg lebt ja schon sehr lange. Nun seid ihr näher dran als auch schon. Wie spüren sie das in der Gottéron-Familie?

Es ist sehr leidenschaftlich. Wenn man natürlich ein solch guten Start hat, hört man es mehr und mehr. Es wäre so, als würde der Traum noch mehr leben. Der Traum lebt und der wird immer leben, bis wir das erreicht haben. Wenn es natürlich gut läuft, dann ist der Traum für die Leute umso näher. Für uns als Spieler ist es aber ganz ein anderer Fokus. Wir sind hier noch irgendwo am Start. Letztes Jahr sind wir nicht einmal über die Pre-Playoffs rausgekommen, das Jahr vorher im Halbfinale gescheitert in einer sehr engen Kiste. Es sind noch rechte Berge, die wir nehmen müssen, bis wir soweit sind. Aber es ist natürlich schön, dass der Verein und die Ortschaft so extrem mitlebt und man spürt, wie das ein Herzenswunsch ist nicht nur vom Verein, sondern von der ganzen Stadt. Und darum hoffen wir als Spieler, dass wir es irgendwann schaffen. Aber alles, was wir machen können, ist richtig zu arbeiten und unser Bestes geben.

Eine spannende Diskussion in der Hockeyszene ist auch immer, wer der beste Torhüter in der Schweiz ist. Oft war es am Schluss Leonardo Genoni, letztes Jahr konnte Robert Mayer den Titel für sich beanspruchen. Werden sie es dieses Jahr oder sind sie es schon?

Es kommt immer drauf an, worauf man schaut. Wenn man schaut, wie viele Schüsse ich halte, dann bin ich sicher vorne im Moment. Für mich ist es auch wichtig, dass ich mit der Mannschaft gewinnen möchte und ich bin nur ein Teil davon. Meistens, wenn man irgendetwas gewinnt, hat man auch persönliche Auszeichnungen. Da dürft ihr euch den Kopf zerbrechen, wer der Beste ist oder nicht. Ich habe mein Ziel an der WM dabei zu sein, ich habe das Ziel mit Fribourg Meister zu werden.

Sie sprachen die Schweizer Bescheidenheit an. Sie waren ja in den beiden Teams, die es bis ins WM-Finale geschafft haben. Ist das nochmal möglich und wenn ja, was benötigt es? Sie haben ja dort gelernt, was es bräuchte.

Es ist absolut möglich. Ich glaube nicht, dass wir damals, als wir ins Finale kamen, so viele Tore erzielten wie in den letzten beiden Jahren in der Gruppenphase. Wir sind sehr solid aufgetreten, es fehlte einfach das Pünktchen auf dem i, dass wir auch im richtigen Moment das das nötige Glück hatten. Es ist ein Spiel. Das hat immer auch mit Glück zu tun, dass an dem Tag der Puck für dich springt. Er ist sehr oft für uns gesprungen in der Gruppenphase, gegen Kanada und gegen andere grosse Nationen, die wir ja die letzten paar Jahre besiegt haben. Da gehört auch das nötige Glück dazu. Für uns geht es sicher darum, dass wir es schaffen, am Tag X mutig aufzutreten und wissen, was wir können. Das hat schon viel mit unserer Bescheidenheit zu tun, dass wir vielleicht zu wenig mutig auftraten.

Geht euer Trainer Patrick Fischer hier die ganze Sache deswegen anders an, damit man eben an einem Tag X auch Deutschland schlägt?

Er spricht es an vor uns, ich spreche es an vor ihnen, wir sprechen darüber. Wir müssen nicht um den heissen Brei herumreden. Es geht genau darum und für uns als Spieler ist der Weg dorthin, dass wir unzufrieden sind mit einem Spiel wie gestern. Wir müssen uns höher stellen, nicht einfach sagen, dass wir gegen grosse Nationen gut mitspielen. Wir sind auch eine grosse Nation mit einer guten Bilanz gegen Top-Mannschaften. Wir sind nicht mehr die «kleine Schweiz» und darum geht es, um Mut.

Background-Portal

Berra


Reto Berra spielte seine letzte WM vor zwei Jahren. Foto: JustPictures.ch / Jari Pestelacci


Reto Berra läuft es derzeit mit Fribourg-Gottéron hervorragend. Foto: Thomas Oswald