So weit so gut. Der Fall ist – zum Glück für Lugano – ein bisschen kompliziert. Columbus besitzt noch bis zum 1. Juli die Rechte an Calvin Thürkauf. Das bedeutet: Bis zum 1. Juli kann seine Agentur nur mit Columbus über einen Vertrag für die nächste Saison verhandeln. Columbus hat im Draft 2016 die Rechte am Nationalstürmer erworben, aber ihn zwischen 2017 und 2020 meistens im Farmteam schmoren lassen: Bloss Drei Partien in der NHL, aber 154 in der AHL.


Will eine andere NHL-Organisation Calvin Thürkauf verpflichten, dann müssten seine Rechte bei Columbus erworben werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich einer der 31 NHL-Organisationen für die Rechte an Calvin Thürkauf interessiert, ist sehr, sehr gering. Zum aktuellen Zeitpunkt ist eine Verpflichtung eines Schweizers, für den erst noch die Rechte organisiert werden müssen, für die NHL-Bürogeneräle so weit weg wie der Mars.

ANALYSE
Auf dem Weg zum Ligatopskorer – das steckt hinter der starken Saison von Calvin Thürkauf
Etwas anderes wäre es, wenn Calvin Thürkaufs Agentur mit allen 32 NHL-Klubs verhandeln könnte. Das wird ab dem 1. Juli möglich sein. Ab diesem Datum wird Calvin Thürkauf «free agent»: Er kann bei einem beliebigen NHL-Team unterschreiben und es wird keine Kompensation mehr fällig. Das macht ihn vor allem für Teams in einer Neuaufbauphase attraktiv: Er hat die Postur (188 cm/93 kg), das Talent, die Vielseitigkeit und inzwischen auch das Selbstvertrauen für ein neues Abenteuer in Nordamerika. Er ist besser denn je und kann er nächste Pius Suter werden. Er wird zur «Rolex auf dem Transferwühltisch« und würde wohl einen Einjahresvertrag für rund eine Million akzeptieren. Für eine NHL-Organisation ein «Schnäppchen».

Aber eben: Am 1. Juli ist es zu spät, um aus dem Vertrag mit Lugano auszusteigen. Diese Frist läuft ja am 15. Juni ab und ein Ausstieg per 15. Juni ohne NHL-Vertrag geht nicht: Entweder per 15. Juni ein unterschriebener NHL-Vertrag oder keine automatische Freigabe. Die Lösung wäre: Hnat Domenichelli gibt Calvin Thürkauf per 15. Juni eine Freigabe für die NHL. Dann kann seine Agentur stressfrei bis zum 1. Juli abwarten und dann mit allen NHL-Organisationen verhandeln. In einer idealen Hockey-Welt, in der alle einander gernhaben und sich gegenseitig die Wünsche von den Lippen ablesen, wäre eine solche Freigabe kein Problem. In der realen Welt hingegen schon ein wenig.

Hnat Domenichelli, GM-Head Of Sports & Competitions, an der Vorsaison-Medienkonferenz des HC Lugano auf dem Schiff "Lugano", am Mittwoch, 4. September 2019, in Lugano. .(KEYSTONE/Ti-Pres ...
Lugano-Sportchef Hnat Domenichelli.bild: keystone/ti-press
Die Frage ist also: Wird Luganos Sportchef seinem besten Schweizer Spieler per 15. Juni eine Ausstiegsklausel für die NHL geben und so die Gefahr, dass er ihn verliert, im Quadrat erhöhen? Hnat Domenichelli sagt wohlweislich: «Wie gesagt, fragen Sie mich im Mai…» Eine solche Freigabe dürfte Luganos smarter Sportchef wohl nur im Überschwang der Gefühle während einer Meisterfeier so gegen 04.00 Uhr in den Morgenstunden mündlich geben, wenn Calvin Thürkauf das entscheidende Tor zu Luganos erstem Titelgewinn seit 2006 erzielt hätte. Aber auch nur vielleicht.

So oder so bleibt die NHL für Calvin Thürkauf ein Thema. Und Lugano muss damit rechnen, seinen besten Spieler auf nächste oder übernächste Saison zu verlieren. Trotz Vertrag bis 2029. Die Wahrscheinlichkeit, dass der ehemalige Zuger Junior bereits nächste Saison in der NHL stürmt, mag nicht übertrieben hoch sein. Aber Eishockey ist nicht nur auf dem Eis ein unberechenbares Spiel auf rutschiger Unterlage mit ungewissen und manchmal sensationellen Wendungen. Das internationale Transfergeschäft im Eishockey ist genauso unberechenbar.