Dies nennt man dann wohl Faktenresistenz (oder auch fehlende Achtung gegenüber dem Rechtsstaat) - ein Hoch auf die (SVP)-Pöbelherrschaft...

1.) Gewaltentrennung (ich weiss durchaus, dass wir die drei von dir genannten besitzen und mit dem "Volksentscheid" sowie den Medien eigentlich sogar 5): Das Parlament verliert natürlich nicht seine Möglichkeit (und sein Recht), den Gesetzestext pragmatisch von der bestimmenden Verfassung abzuleiten und die Judikative wird durch den Automatismus selbstverständlich nicht per se marginalisiert.

2.) Verhältnismässigkeit (Härtefälle, Bagatelldelikte): Ja klar, jedes Bagatelldelikt klassifiziert jemanden zum Sicherheitsrisiko - wobei wir natürlich Wirtschaftsdelikte nicht bestrafen wollen (ganz in der Tradition der rechtsbürgerlichen Schweiz)... Personen die hier aufgewachsen sind, müssen natürlich auch ausgeschafft werden, da nicht unsere Gesellschaft dafür verantwortlich ist...

3.) Übermassverbot (Ermessensspielraum): Klar, ein Strafenautomat hat natürlich einen wahnisnns Ermessensspielraum...

4.) Recht auf einen fairen Prozess: Wenn Begleitumstände nicht berücksichtigt werden, kann man durchaus von fair sprechen...

5.) Rechtsstaat: Klar Punkte 1-4 sind allesamt mit diesem Prinzip vereinbar... Ach, ich dachte immer die Stimme des Pöbels sei entscheidend?

6.) EMRK und Bilaterale: Auf erstere gehen wir gar nicht erst ein, denn Ausländer sind schliesslich keine Menschen und da wir natürlich eine Verfassungsdemokratie sind, kann den Eidgenossen auch nie was geschehen... Klar künden wir die PFZ (da diese definitiv nicht mit einem solchen Automatismus verträglich wäre), hoffen, dass wir ein paar ungebildete "Einheimische" in viel zu anspruchsvolle Positionen hieven können (dann generieren wir noch mehr Arbeitsplätze!), die Schweizer endlich wieder mal bisschen mehr poppen und die EU uns weiterhin Rosinen picken lässt... Sehr weitsichtig...
Ja und die Sicherheit, die können wir nur gewährleisten, wenn die Putzfrau von Herr Fehr (der mit dem etwas zu breiten Schnauzer) ausgeschafft wird - wobei, mit welchen Staaten existieren überhaupt derartige Abkommen? Und da ihr ja meisterhafte Statistikexperten seid, dürftet ihr sicherlich auch wissen, dass Kriminaltouristen (die ohnehin kein Bleiberecht besitzen) in der Statistik eigentlich nicht auftauchen - die existieren nämlich nur dann, wenn man über Schengen diskutieren mag...

7.) Umsetzung: Ja das böse Parlament wollte doch tatsächlich das Völkerrecht achten und auch Wirtschaftskriminelle ausschaffen - auflösen und zwar sofort! Ach ja, welche Parteien haben die 2. Wohnungsinitiative verwässert?




aus: http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/das-volk-hat-nicht-immer-recht/story/13652537

"Massgebend ist sowieso nicht der Artikel allein. Jeder Artikel, der neu in die Verfassung kommt, muss im Gesamtzusammenhang mit allen anderen Verfassungsbestimmungen interpretiert werden. Die Initianten der Durchsetzungs­initiative haben kein Monopol darauf, wie unsere Verfassung ausgelegt wird."

"Die Durchsetzungsinitiative steht im grundlegenden Widerspruch zu den Geboten des Rechtsstaats. Unsere Verfassung verbietet Willkür und gebietet Verhältnismässigkeit. Die Justiz muss differenzieren, von Fall zu Fall, von Mensch zu Mensch. Ein Richter ist kein Automat. Diese Initiative verficht ein archaisches Gerechtigkeitsverständnis."

"Wenn die Initiative angenommen wird, kommt der Artikel in die Verfassung. Trotzdem sollte jeder Richter meiner Meinung nach bereits in erster Instanz sagen: Einen Artikel, der mir jede Beurteilung des Einzelfalls versagt, den kann ich nicht anwenden. Wenn er ihn doch anwendet, so wird es vor Bundesgericht weitergehen. Und das Bundesgericht müsste auf die Grundprinzipien der Verfassung zurückgreifen."

"Das Völkerrecht ist viel wichtiger geworden. Heute geht es da nicht mehr nur um Krieg und Frieden, sondern um Alltag: Das Individuum ist selber Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten. Internationales Recht ergänzt nationales Recht."

"Das Volk hat nicht immer recht. Da gibt es genügend Beispiele in der Geschichte. Nicht nur den Nationalsozialismus, der mit unserer heutigen Situation nicht vergleichbar ist. Aber zum Beispiel die Plebiszite im Balkan, die auf Kosten von Minderheiten gingen und zum Zerfall Jugoslawiens führten. Die Mehrheit darf nicht auf Kosten der Minderheit handeln."


aus: http://www.huffingtonpost.de/thomas-riesen/auslaenderjagd-schweiz_b_8959968.html

"Wird die Initiative angenommen, ist es eine gesellschaftliche und juristische Zäsur. Rechtsstaat ade, Apartheid willkommen. Unmenschlichkeit wird in die Verfassung geschrieben. Zum Wohle einer Mehrklassengesellschaft, in der sogar Ausländer unterschiedliche „Werte" haben. Mitten in Europa."

"Die direkte Demokratie in der Schweiz wird durch die Gewaltenteilung vor Missbrauch geschützt. Über allem steht eine Verfassung. Sie gibt die Rahmenbedingungen für Legislative, Exekutive und Judikative vor."

"Veränderungen kann man offen und flexibel gegenüber stehen, man kann sich ihnen gegenüber aber auch verwehren. Das Ergebnis ist die von Rechtspopulisten bestens bekannte Mauerpolitik, mit „Law-and-Order-Elementen". Es ist der Versuch eine Veränderungen „abzuwehren", ohne sich für Ursachen oder Lösungen zu interessieren."

"Eigentlich sollte man meinen, die SVP hat ihr Ziel erreicht. Aber die Rechtspopulisten stören sich daran, dass Härtefälle geprüft werden können. Nein, sie wollen dass bereits vorbestrafte Ausländer dann wegen einer anderen Tat ohne Prüfung der Tatumstände, ausgewiesen werden können. Das erinnert an das Appartheidsregime in Südafrika und ist ein Verstoss gegen das Völkerrecht. Selbst ein Bundesrichter warnt vor der Initiative. Das kommt sehr selten vor. "

"Grundsätzlich würde die Durchsetzungsinitivative auch in der Schweiz geborene und ausgebildete Personen betreffen, so genannte Secondos. Denn in der Schweiz wird man nicht automatisch eingebürgert, wenn man dort geboren wird. Entsprechend könnte es also Personen betreffen, die in ein Land abgeschoben würden, das sie nicht kennen und deren Sprache sie nicht sprechen."

"Bereits diese Aufzählung sollte jedem mit gesunden Menschenverstand zu denken geben. Vor allem weil Steuerbetrug oder Urkundenfälschung nicht zur automatischen Ausweisung führen. Wenn es um Wirtschaftskriminalität geht, ist die Initivative also äusserst liberal. Wirschaftskriminell wären dann also Ausländer erster Klasse oder „Schweizer" zweiter Klasse. Aparteid."

"Damit würde die Schweiz gegen die Personenfreizügigkeit verstossen und die Gespräche über eine weitere Zusammenarbeit mit der EU würden erschwert. Das die Prüfung von Härtefällen untersagt würde, wäre ein klarer Verstoss gegen die Menschrechtskonvensionen sowie gegen die UNO-Konventionen. Sollte dann noch ein Elternteil ausgewiesen werden, käme der Verstoss gegen die UNO-Kinderschutzkonvention dazu. "

"Aber das ist nicht alles: Weil Ausschiebungen in unsichere Länder vor Bundesgericht nicht angefochten werden dürften, käme das einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention gleich. Damit würde ihr Ruf als Wirtschaftsstandort leiden. Die Schweiz wäre kein verlässlicher politischer Partner mehr. Im Gegenteil: Von ihr aus ginge ein sehr gefährliches Signal aus, welches juristische Unrecht in Europa im 21. Jahrhundert wieder möglich ist... "


Bearbeitet von Phoenix86 (29/01/2016 20:44)