Der neue SCB ist nordisch geprägt
Erstmals seit der Saison 1969/70 verfügt der SC Bern über keinen Kanadier in seinen Reihen, der das Ausländerkontingent belastet. Eine Figur, die den SCB Jahre später prägte, war der Kanadier Paul-André Cadieux, der in den 70er Jahren noch über keine Schweizer Staatsbürgerschaft verfügte, heute das Ausländerkontingent aber nicht mehr belasten würde. Zu dieser Zeit stand er nicht nur auf dem Eis, sondern fungierte gleichzeitig auch als Spielertrainer. Heute wäre dies undenkbar. Für viele undenkbar war auch ein SC Bern ohne einen Kanadier. Nun ist es Tatsache geworden.
Torhüter
Wie letzte Saison wird auch dieses Jahr auf das Goalie-Duo Adam Reideborn und Philip Wüthrich gesetzt. Der SC Bern verabschiedete nach dem Saisonende Daniel Manzato, der noch keine Entscheidung über seine Zukunft getroffen hat. Adam Reideborn stand in der Regular Season 40 Mal im Einsatz, 38 Mal von Beginn an und zwei Mal musste er ausgewechselt werden, Wüthrich kam auf zwölf Einsätze und musste nie ausgewechselt werden. Die wenige Anzahl der Einsätze von Wüthrich hatte nicht nur mit seiner monatelangen Verletzung zu tun.
Denn zu Beginn der Regular Season 2023/24 sorgte der Schwede Adam Reideborn dafür, dass der SC Bern auch bei knappem Vorsprung einen Sieg stehlen konnte. So stand der SCB gut einen Monat nach Saisonstart an dritter Stelle und hielt sich anschliessend lange in den Rängen der Top vier. Doch im vergangenen Januar und vor den Playoffs, die der SCB seit 2019 erstmals wieder ohne Umweg erreichte, konnte der KHL-Champion von 2023 nicht an seine Bestleistungen anknüpfen. Philip Wüthrich kam nach einer langen Verletzung am 26. Januar 2024 ins Tor zurück und hexte den SCB eindrücklich zu einem wichtigen Sieg gegen den HC Davos. Dies veranlasste Jussi Tapola dazu, von nun an regelmässig zwischen Reideborn und Wüthrich zu wechseln.
Er zog seine Wechsel-Linie sogar im Playoff-Viertelfinal durch, jedoch setzte Tapola im letzten siebten Spiel in Zug auf den falschen Torhüter und der SCB schied aus. Reideborn kam im entscheidenden Spiel nur auf eine Fangquote von 89.5% und war damit unterdurchschnittlich. Man darf gespannt sein, wie es diese Saison funktionieren wird. Eines ist aber klar: beide müssen sich beweisen, denn beide haben einen auslaufenden Vertrag. Wobei es für die Zukunftsplanung sicherlich Sinn machen würde, aufgrund der Ausländerlizenzregelung auf zwei Schweizer Goalies zu setzen. Somit hat Wüthrich gegenüber dem Schweden einen Vorteil.
Als dritter Goalie wird Andri Henauer Schritt für Schritt nachgezogen, obschon er die meiste Zeit wahrscheinlich beim Partner-Team EHC Basel im Tor stehen wird.
Verteidigung
Die Verteidigung des SCB ist im Vergleich zu letzter Saison noch etwas dünn besetzt. Es erstaunt daher nicht, dass Jussi Tapola in den bisherigen Testspielen bereits Joël Vermin vom Stürmer zum Verteidiger umfunktionieren liess. Vermin hat auch schon in der vergangenen Saison bewiesen, dass er in der eigenen Zone aufräumen kann. Er nimmt die Rolle an, die der Trainer ihm gibt. Sportdirektor Martin Plüss sah Optimierungsbedarf und bestätigte den Plan, dass Joël Vermin als Verteidiger in die Saison starten wird.
Mit Claude-Curdin Paschoud, Marco Maurer, Mika Henauer und den beiden Finnen Ville Pokka und Julius Honka verliessen fünf Verteidiger den Club. Ville Pokka, der im Ringtausch mit Julius Honka während der Saison zum SCB stiess, wird mit dem Schweden Anton Lindholm ersetzt. Der Schwede glänzte in der Spielzeit 2022/23 bei Leksands IF mit 21 Punkten aus 50 Spielen und kam auf eine Saisonbilanz von +7. Vergangene Saison, die er als Assistant-Captain bestritt, nahm die Punkteausbeute zwar ab. Dafür verbesserte er seine +/- Bilanz auf +8. Mit Patrik Nemeth wird Anton Lindholm auf einen Landsmann in der SCB-Verteidigung treffen, die sich bereits bestens aus der Nationalmannschaft und von der Weltmeisterschaft 2023 in Tampere und Riga kennen.
Nach den Abgängen von Paschoud und Maurer werden mit grösster Wahrscheinlichkeit die erst 20-jährigen Nick Meile und Louis Füllemann zu mehr Eiszeiten kommen. Jussi Tapola machte während der abgelaufenen Saison unlängst deutlich, dass er die Entwicklung von Louis Füllemann sehr beeindruckend findet. Beide erhielten bereits letzte Saison beim SCB einen Profivertrag. Meile kam auf fünf Einsätze, Füllemann sogar auf 21.
Der 19-jährige Nils Rhyn aus dem eigenen Nachwuchs wird in Zukunft ebenfalls wie seine zwei Sturmkollegen (siehe weiter unten) aus der gleichen Altersstufe näher an die National League herangeführt. Mit der Verpflichtung von Toni Szabo als Skills und Development Coach sollen Lücken in der Spielerentwicklung zwischen der U20-Stufe und der National League geschlossen werden.
Drei Schulteroperationen warfen Mika Henauer in den vergangenen Jahren mehrmals in seiner Entwicklung zurück. Der gebürtige Berner kam beim SCB nur noch auf fünf Einsätze (1 Assist) und wurde rasch an den EHC Kloten ausgeliehen, wo er zu 26 Einsätzen kam (1 Tor, 5 Assists). Auch wenn es nicht öffentlich gesagt wurde, spielte Henauer im System von Jussi Tapola mit fünf Stammverteidigern keine wichtige Rolle mehr. Er zog weiter und wird bei den SC Rapperswil-Jona Lakers neuen Anlauf nehmen.
Sturm
Der Schweizer Kern der SCB-Stürmer bleibt konstant. Es gab nur zwei verkraftbare Abgänge zu verzeichnen. Joshua Fahrni, der das Verlängerungsangebot des SCB ausschlug, verliess den Club in Richtung Langnau, wo er sich neu beweisen muss. Santiago Näf, der in Bern kaum zu Einsätzen kam, wird beim Erzrivalen Gottéron sein Glück versuchen.
Die grösste Veränderung gab es beim SCB bei den Importspielern im Sturm. Einzig Dominik Kahun, der noch drei weitere Jahre unter Vertrag steht, verblieb als Einziger. Verlassen haben den Club der Finne Joona Luoto und die beiden Kanadier Colton Sceviour und Corban Knight. Ersetzt werden die drei Stürmer durch den US-Amerikaner Austin Czarnik, den Finnen Waltteri Merelä und den Schweden Victor Ejdsell.
Es gibt somit erstmals seit 1970 keinen Kanadier im SCB-Kader. Mit Austin Czarnik aber den ersten US-Amerikaner seit den Zeiten von Mark Arcobello. Czarnik kann wie damals auch Arcobello auf viel AHL-Erfahrung zurückgreifen. Für die NHL reichte es trotz seiner Postur (175 cm / 77 kg) immerhin für über 200 Spiele. Der 26-jährige Merelä wurde nie von der NHL gedraftet, gewann aber zweimal die finnische Meisterschaft und hat mit seiner Körpergrösse (188 cm) viel Wasserverdrängung. Beim AHL-Team Syracause Crunch stellte er auch seine Skorerqualitäten unter Beweis. Wird er dies auch beim SCB tun? Zu guter Letzt stösst mit Victor Ejdsell, der in Schweden in der höchsten Liga regelmässig für Punkte sorgte, ein SHL-Champion ins Team von Jussi Tapola. Auch er wird mit seinen Gardemassen (195 cm / 98 kg) dem Gegner unter die Haut gehen.
Der einzige Schweizer, der von einem Ligakonkurrenten zum SCB stösst, ist Marc Marchon. Er wird für die erforderliche Härte in der Offensive sorgen. Gregory Weber aus dem eigenen Nachwuchs wird fester Bestandteil der SCB-Mannschaft. Ebenfalls aus der U20-Elit werden wie Verteidiger Nils Rhyn auch die aussichtsreichsten Jung-Stürmer Alain Graf und Levin Moser (beide Jahrgang 2005) Schritt für Schritt und unter anderem mit Hilfe von Toni Szabo an die höchste Eishockeyliga herangeführt. Vielleicht entwickelt sich dadurch ein weiterer Thierry Schild, der den Sprung letzte Saison eindrücklich schaffte.
Trainer / Sportchef
Auch der Sportchef ist nicht mehr Kanadier. Die Zusammenarbeit mit Andrew Ebbett wurde per Ende der abgelaufenen Saison beendet. Neu fungiert Patrik Bärtschi als Sportchef und Martin Plüss als Sportdirektor.
Fazit
Letzte Saison gab es mit der direkten Playoff-Qualifikation Hoffnung auf mehr. Die Leistungskultur, die in den vergangenen Jahren fehlte, kehrte dank der Verpflichtung von Jussi Tapola zurück. Das Playoff-Feuer unter den Fans entfachte wieder. Der SC Bern war auf dem Weg, auch leistungsmässig wieder ein Top-Club zu sein. Wir sind gespannt, ob der SCB seine letztjährige Performance mit dem neuen ausländischen Personal, das nun auch ins System von Jussi Tapola passen sollte, bestätigen kann. Und das Ganze ohne einen einzigen Kanadier.
hockeyfans.ch-Ranglistentipp
1.
2.
3.
4. Genf-Servette
5.
6.
7.
8. SC Bern
9.
10. HC Ambrì-Piotta
11.
12. SCL Tigers
13.
14.
Zum Saisonstart: Slapshot Hockey-Guide 2024/2025
Jetzt vorbestellen! Der Guide erscheint Mitte September!
CHF 20 (zzgl. Porto)
Background-Portal
Letzte Beiträge
… von Roman Badertscher
Tapola
SCB-Trainer Jussi Tapola hat das Team auf nordische Art umgebaut. Foto: Philipp Hegglin