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Lettland mit Druck, Enthusiasmus, Zwist und Trauer

Von Martin Merk, Fotos von Melanie Beyli

Die WM 2006 soll die WM der Fans sein. Mit diesem Motto werben die Organisatoren um ihre Gunst. Denn die lettischen Fans gelten als die besten an internationalen Turnieren.

Seit Lettland 1997 erstmals in der A-Klassigkeit auftauchte, fielen die lettischen Fans auf. Rund 2000 reisen jeweils quer durch Europa, um ihre Mannschaft mit "Latvija"-Rufen und Lärmgeräten zu unterstützen, obwohl Lettland das ärmste EU-Land ist. Sie kommen mit Zügen, Bussen oder Fahrgemeinschaften. Für Hotels reicht es meistens nicht. "In Oslo (1999, Anm.) sah man sie in Bussen und draussen schlafen", so der IIHF-Präsident René Fans über jene Fans, die er als beste der Welt bezeichnet. Nun kommt die WM erstmals zu den Letten. Lettland ist mit der 70. Eishockey-Weltmeisterschaft die 15. Gastgeber-Nation. Erstmals WM-Neuland, seit 1966 die WM im ehemaligen Jugoslawien, in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana stattfand. Entsprechend begrüsste Fasel bei der Eröffnungszeremonie vor dem Spiel Lettland-Tschechien die Fans in der innert weniger Minuten ausverkauften Arena Riga speziell. Und die Fans feierten und behupten den Punkt gegen Titelverteidiger Tschechien ausgiebig bis in die frühen Morgenstunden in der fanfreundlich eingerichteten Altstadt.

Während viele die alljährliche WM-Austragung und eine WM in der Olympia-Saison kritisieren, ist dies in Lettland natürlich kein Thema. Während im Westen das Turnier niemand wollte, bestand doch mit Turin 2006 und der folgenden Fussball-WM in Deutschland bereits ein Überangebot an grossen Sportanlässen, ist es für Lettland ein sporthistorisches Ereignis. Es ist die grösste Sportaustragung für Lettland, wofür man eigens eine neue Halle baute. Und ein Verdienst dafür, dass man sich seit dem Aufstieg 1997 in der A-Gruppe halten konnte und die Fans jeweils als positiver Farbtupfer in den WM-Austragungsorte von sich reden machten. Es ist eine schöne Chance und ein Tribut für Lettland.

Die Heimatmosphäre wird bei den Gegnern als grosser Vorteil angesehen. "Man kann mit den Spielern kaum kommunizieren", beschrieb der Schweizer Nationaltrainer Ralph Krueger die Stimmung nach dem Testspiel gegen die Letten vom Dienstag Doch auf den WM-Gastgeber lastet auch ein Druck. Die lettische Nationalmannschaft gilt als ein Stimmungsteam und auch die Fans können mit Pfeifkonzerten reagieren, wenn ihre Mannschaft nicht so kämpft, wie man es erwartet. Viele Fans sind derart enthusiastisch, dass sie den Underdog Lettland, der noch nie über Rang sieben hinaus kam, zu den WM-Favoriten zählen. Und dies nach dem letzten Schlussrang an den Olympischen Winterspielen in Turin. Dabei standen die Vorzeichen schlecht: Mit dem Trainerwechsel zu Pjotr Vorobjev und der Rückversetzung des ungeliebten Leonids Beresnevs zum Assistenten gaben sich viele Spieler und Fans nicht zufrieden und waren verärgert über den Verband. Nicht zuletzt aufgrund der Streitigkeiten verzichteten viele Stammspieler auf den Traum eines lettischen Eishockey-Profis, auf die WM im eigenen Land. Sandis Ozolinsh, Arturs Irbe, Peteris Skudra, Aigars Cipruss, Rodrigo Lavins, Igor Bondarevs, Olegs Sorokins und Girts Ankipans heissen die Abwesenden. Wie für die Schweiz eine lange Namensliste, die sich für ein kleines Land wie Lettland (2,3 Millionen Einwohner) eigentlich nicht so einfach verkraften lassen dürfte. Doch mit ihrem Einsatz und dem von den Fans übertragenen Enthusiasmus konnten die Letten dies bisher wettmachen. Die Nachwuchsbewegung hat sich zudem stark verbessert und neue Nationalspieler produziert, die in der Vorbereitung positiv auffielen. Und kurz vor der WM wurde schliesslich auch die Streitfigur Beresnevs vom Trainerstab entfernt. Zumindest hinter der Bande, denn auf der Website der lettischen Organisatoren wird er nach wie vor als Headcoach vorgestellt.

Lettische Stimmung in der Arena Riga, 06.05.2006, Lettland-Tschechien (0,3 MB)

Herzversagen: Lettlands Bester fehlt

Er galt als einer der besten lettischen Spieler aller Zeiten: Der einstige NHL-Profi Sergejs Zoltoks. Er war 2004 in Tschechien der beste WM-Scorer der Letten und wies bis zum Lockout die Erfahrung 633 NHL-Spiele auf für Boston, Ottawa, Montréal, Edmonton, Minnesota und Nashville. Seine Profikarriere begann er noch in der sowjetischen Liga beim damaligen Dinamo Riga. Er dürfte sich gefreut haben, als vor fünf Jahren diese WM nach Lettland vergeben wurde. Er verpasst aber die WM in seiner Heimatstadt Riga.

Während des Lockouts spielte er für Dinamos Nachfolgerclub Riga 2000 in der offenen weissrussischen Liga. Er verzichtete zu Gunsten des Clubs seiner Heimatstadt auf üppige Saläre in Russland oder sonst wo in Europa. Herzprobleme wurden bereits bei den NHL-Clubs diagnostiziert, doch seine Liebe zum Eishockey liess ihn nie vom Spielfeld los. Bei einem Spiel auswärts in Minsk brachte seine schwerste und letzte Herzattacke auf. Am 3. November 2004 starb der Center im Alter von 31 Jahren an Herzversagen. Die Wiederbelebungsversuche der Ärzte scheiterten, Zoltoks starb in der Umkleidekabine. Und in Lettland wird er nicht nur wegen seiner spielerischen Klasse vermisst.


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