Luca Sbisa ging den Weg über das kanadische Juniorenhockey und kam zu NHL-Einsätzen, hat den Durchbruch aber noch nicht geschafft. Foto: Getty Images/Jim McIsaac (auf Bild klicken für MMS)


Roman Josi ging den "Schweizer Weg" wie die bisherigen Schweizer NHLer. Schafft es auch er vom NLA-Star und Nationalspieler zum NHL-Stammspieler? Foto: Michael Zanghellini (auf Bild klicken für MMS)

Welches ist der richtige Weg in die NHL?

Von Thomas Roost, Central Scouting Europe / NHL

Welchen Weg sollen talentierte Schweizer einschlagen, um in die NHL zu gelangen? Die Beispiele Luca Sbisa, Roman Josi und Nino Niederreiter machen Schule und verleiten zu Interpretationen, die gefährlich sind.

Fakt ist, dass Luca Sbisa und Nino Niederreiter in der ersten Runde und Roman Josi in der zweiten Runde gedraftet wurden. Meine Vermutung ist, dass die Draftreihenfolge eine andere gewesen wäre, wenn alle drei im Draftjahr in der Schweiz oder in Nordamerika gespielt hätten. Es gibt erdrückende Indizien dafür, dass Luca Sbisa und Nino Niederreiter in ihren NHL-Draftrankings vom Jahr in den kanadischen Juniorenligen (CHL) profitiert haben. Der Schluss liegt deshalb nahe, dass der Weg via CHL der beste Weg ist in die NHL. Die Wahrheit – resp. meine „Wahrheit“ – ist aber wesentlich komplizierter.

Jetzt aber der Reihe nach: Wenn ich Vater wäre eines jungen Eishockeyspielers, der die Möglichkeit hat, in der CHL zu spielen, dann würde ich sofort zusagen und diese Bestrebungen unterstützen. Nicht aber weil ich glaube, dass sich der Junior als Eishockeyspieler besser entwickelt und die bessere Chance hat, NHL-Spieler zu werden. Meine Gründe sind: Er lernt eine neue Kultur kennen, lernt perfekt Englisch, lernt neue Freunde kennen und muss sich auf sich selbst verlassen, hat keine Fürsprecher mehr. Er ist in Kanada ein „Nobody“ und muss sich in Eigenverantwortung von null nach oben kämpfen. Und „last but not least“: Es macht unheimlich Spass in der CHL zu spielen. Diese Liga ist hochprofessionell organisiert und man spielt vor vielen Zuschauern. Dies sind die wahren Gründe, wieso ich als Vater eines talentierten Eishockeyjuniors ein CHL-Engagement unterstützen würde.

Bei dieser Unterstützung würde ich aber sehr darauf achten, dass das schulische und/oder berufliche Ausbildungsziel nicht gefährdet wird. D.h. es ist aus meiner Sicht die Aufgabe der Eltern und der Agenten, diesen Lebensmeilenstein bei aller CHL-Euphorie nicht ausser Acht zu lassen. Es gibt Modelle, bei denen man eine Ausbildung oder eine Berufslehre unterbrechen und nicht abbrechen muss. Dies muss unbedingt angestrebt werden und zwar aus zwei Gründen: Erstens sehe ich es als Scout sehr gerne, wenn sich talentierte Spieler parallel zum sportlichen Erfolg auch ausbildungsmässig profilieren. Sie dokumentieren damit Belastbarkeit. Belastbarkeit ist eines der wichtigsten Kriterien, um eine erfolgreichen Karriere im Spitzensport machen zu können. Spieler denen immer alle auch noch so kleinen Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden und sich schon früh „nur“ auf Eishockey konzentrieren, werden nicht nur bei mir mit einem Fragezeichen versehen.

Zweitens wird ein CHL-Draft von den meisten Beteiligten überschätzt. Nicht der Weg von Luca Sbisa und Nino Niederreiter ist die Usanz sondern die Tatsache, dass lediglich etwas mehr als 10 Prozent der europäischen Spieler die je in der CHL spielten später eine NHL-Karriere geschafft haben. Dies ist die statistisch belegbare Realität. Die CHL ist nicht nur ein Aschenputtelmärchen mit den Hauptdarstellern Luca Sbisa und Nino Niederreiter, sondern es gibt auch die unscheinbaren Nebenrollen, besetzt beispielsweise mit Namen wie Schlumpf, Hollenstein, Grauwiler, Mayer und Steinmann. Ein CHL-Draft hat wenig mit einem NHL-Draft zu tun und sehr wenig mit einer vermeintlichen NHL-Karriere.

Ich mag jedem CHL-gedrafteten Schweizer diesen Erfolg von Herzen gönnen und bin hundertprozentig sicher, dass sie eine supergute Zeit verbringen werden in der CHL und als Person reifen werden. Der Preis einer abgebrochenen Ausbildung ist aber extrem hoch und ich empfehle allen Beteiligten (Spieler, Eltern, Agenten) diesem „Big Picture“ grosse Beachtung zu schenken. Es gibt in gewissen Konstellationen Modelle, die einen Ausbildungsunterbruch ermöglichen und ein solches Modell gilt es im Vorfeld eines entsprechenden Entscheides sicherzustellen.

Sportlich gesehen wage ich es nicht zu sagen, ob sich die Spieler in Europa oder in der CHL besser entwickeln. Dies kann nur individuell beantwortet werden und hängt vom Spieler selbst, von der europäischen Liga, von den Coaches und Trainern bei uns und in der CHL – es gibt auch dort gute und weniger gute – ab. Ich bin nicht der Meinung, dass sich die Spieler im europäischen Umfeld mit mehr Trainings und weniger Spielen besser entwickeln. Ich bin aber auch nicht gegenteiliger Meinung. Beide Wege haben sportliche Vor- und Nachteile. Trotzdem müssen wir feststellen, dass unsere Juniorenliga für unsere sehr guten Talente zu schwach ist, um sich Richtung Weltklasse entwickeln zu können. Darum gibt es in der Schweiz nur einen vorteilhaften Weg für 17- bis 18-jährige Talente: Der Club setzt in der ersten Mannschaft voll auf sie und ermöglicht Einsätze mit guten Eiszeiten, mit Powerplay und Boxplay im Profiteam. Roman Josi hat so seinen Weg gemacht.

Es ist müssig darüber zu diskutieren, ob Josi, Niederreiter und Sbisa heute besser oder schlechter entwickelt wären, wenn sie sich für einen anderen Weg entschieden hätten. Müssig darum, weil wir es schlicht nicht wissen und welche These es auch immer ist, sie kann weder bewiesen noch widerlegt werden. Darum gibt es nur Meinungen und keine Wahrheiten.

Meiner Meinung nach ist es der beste Weg, wenn die Top-Junioren bei uns in der höchsten Spielklasse gefordert werden und sich mit Männern messen. Die zweitbeste Option ist die CHL, aber nur wenn dieser Weg ausbildungsmässig flankiert wird. Vielleicht sogar noch besser als die CHL ist ein Wechsel nach Skandinavien zu einem Top-Ausbildungsclub, aber auch hier gilt das Ausrufezeichen betreffend Ausbildung.

Der theoretisch für mich beste Weg ist, wenn ein guter junger Spieler in unserer Profiliga eine verantwortungsvolle Position einnimmt und auch in Schlüsselszenen gefordert wird, parallel dazu eine Führungsrolle im Juniorennationalteam übernimmt und ebenfalls parallel dazu eine Top-Ausbildung erfolgreich abschliesst. Dies ist das theoretische Stahlbad von künftigen Leistungsträgern. Solche Spieler würde ich im Spiel 7 beim Stand von 3:3 in der „Overtime“ aufs Eis schicken. Sie haben enorme Belastbarkeit bewiesen und exakt dies ist in so genannten „Clutch-Situations“ gefragt.

Sind dies unmenschliche Anforderungen an junge, verunsichert pubertierende Menschen? Mag sein, aber vergessen wir nicht: Wir sprechen von der NHL und von Weltklasse. In diesen Gefilden ist die Luft extrem dünn, nur die allerbesten, nur belastbarsten und die widerstandsfähigsten Menschen setzen sich auf diesem Niveau durch, egal ob wir von Musikern, Tennisspielern, Wirtschaftskapitänen oder Eishockeyspielern sprechen.

Puck-Dreams

Der Schweizer NHL-Scout Thomas Roost hat diesen Sommer die neue Auflage von "Puck-Dreams - Der steinige Weg in die „Big League“,die legendäre NHL" veröffentlicht und befasst sich unter anderem mit dem Thema Schweizer und die NHL. Er sucht nach Gründen, wieso sich bis jetzt erst sehr wenige Schweizer Spieler in der NHL durchsetzen konnten. Darüber hinaus findet der Leser Erkenntnisse aus der übergeordneten Talentmanagement-Forschung. Wie wird aus einem Talent ein Weltklasse-Performer? Es finden sich wertvolle Tipps für Eishockeytalente und alle die das Ziel haben, in ihrer Disziplin Weltklasse werden zu wollen.

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