Gehört Luca Cunti in die NHL oder in die NLB?
Luca Cunti ist eines der grössten Missverständnisse im Schweizer Eishockey aller Zeiten. Thomas Roost schaut für hockeyfans.ch auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Stürmers, der auf Umwegen den NLA-Durchbruch am Schaffen ist.
Ich habe Luca Cunti mit 16 Jahren zum ersten Mal spielen gesehen und er war in diesem Alter mit Abstand der beste 16-jährige Schweizer. Er hat auch internationale Spiele gegen Tschechien und andere Nationen dominiert. Mit 17 Jahren und dann im NHL-Draftjahr hat er den Status „mit Abstand bester Schweizer Spieler“ verloren. Im Draftjahr, mit 17 ½-Jahren, wurde er bei einem Turnier in Schweden (mit Schweden, USA, Schweiz und Finnland) zum besten Spieler des Turniers gewählt und in Scoutingkreisen wurde er zu diesem Zeitpunkt als Erstrundenpick gehandelt.
Auffallend war aber bereits damals, dass er ein so genannter „On-Off-Spieler“ war. Bei „Shifts“ in denen der Schalter auf „On“ gekippt war hat er alle dominiert und „Ahhs und Ohhs“ unter den Zuschauern provoziert. Es gab aber auch viele Shifts in denen er unsichtbar war – die so genannten „Off-Shifts“. Er war mit der Scheibe Weltklasse und ohne Scheibe Kreisklasse. Zusammenfassend war er im Draftjahr noch immer der beste, mindestens der talentierteste aller Schweizer Spieler aber nicht mehr mit Abstand. Der langen Worte kurzer Sinn: Luca Cunti wurde in der Folge von den Tampa Bay Lightning in der dritten Runde gedraftet und was folgte war eine unglückliche Leidensgeschichte in der NCAA mit fehlenden Bewilligungen und zwei Juniorentransfers.
Woher kommt Luca Cunti?
Er ist an der so genannten „Zürcher Goldküste“ in einer intakten Familie am schönen Zürichsee in einem schmucken Haus mit Seesicht aufgewachsen. So ziemlich genau das Gegenteil einer konservativen „Old-School-Hockey-Geschichte“ mit langen, kalten und dunkeln Wintern, gefrorenen Seen, alten Schlittschuhen und dem harten Leben eines Farmersohnes aus den endlosen Provinzen Kanadas. Luca Cunti, ein verwöhnter Zürichsee-Bube? Aus der Sicht von traditionellen Eishockeyküchenchefs aus Graubünden und dem Emmental und aus Sicht aller die vom Anti-Zürich-Reflex befallen sind ganz bestimmt...
Wo steht Luca Cunti heute?
Er gehört Spiel für Spiel zu den auffälligsten und sehr oft zu den besten Spielern der ZSC Lions. Luca Cunti ist ein Eishockeyästhet, einer jener Sorte von Spielern die mich zum Kauf eines Eishockeyspiel-Tickets provozieren. Es macht mir schlicht Freude, die stupende Scheibenbehandlung, die eleganten Bewegungsabläufe, die smarten Körpertäuschungen und das gazellenhafte Skating zu verfolgen. Wenn Luca Cunti spielt, weht immer ein Hauch Weltklasse durchs Hallenstadion. So spricht mein Eishockeyherz. Mein Kopf beurteilt dies etwas differenzierter, doch dazu später.
Aktuell werden die ZSC Lions mit einem jungen und vermutlich (noch) günstigen Spieler belohnt, den sie polemisch ausgedrückt nicht verdient haben. Ausser Vater und Sohn Schenk hat in der heutigen Lions-Organisation kaum jemand auch nur ein gutes Haar an Luca Cunti gelassen. Ein klassischer Fall von „Mund zu Mund-Negativ-Propaganda“ die seinen Ursprung vor Jahren im Coachingstaff der Juniorennationalteams hatte und sich in Windeseile in alle Landesteile verbreitete. Ich habe Cunti-Verrisse gehört von Coaches die ihn kaum je mal spielen gesehen geschweige denn mit ihm gesprochen haben. Es gibt verschiedene NLA-Teams, denen Luca Cunti auf dem Silbertablett serviert wurde. Nur mit Ach und Krach durfte er sich im Training präsentieren und ich wage zu behaupten, dass diese Präsentationen nie vorurteilslos abgelaufen sind. Jedem Eishockeyästheten musste das Herz bluten, dass hier – in der mit überdurchschnittlichen Hockeytalenten nicht eben gesegneten Schweiz – ein derartiges Talent verkannt wird.
Nach einem glücklosen und durch Krankheit beeinträchtigten Langnau-Abstecher wurde ihm später als Almosen ein Vertrag in der NLB bei den GCK-Lions angeboten. Wie lautet noch die Redewendung mit den Perlen und den Schweinen? Ungefähr so hat es sich angefühlt wenn ich Luca Cunti in der NLB spielen gesehen habe und dies soll keine Beleidigung für die NLB sein, deren Niveau sich in den vergangenen Jahren erheblich verbessert hat!
Zum Saisonbeginn 2011/2012 eine persönliche Anekdote, für mich ein Höhepunkt der Absurdität: Im traditionellen Saisonauftaktspiel zwischen den ZSC Lions und den GCK Lions wurde dem neuen Head Coach Bob Hartley Luca Cunti präsentiert... auf Seiten der GCK Lions... Nach 50 Minuten – Cunti war der beste Spieler auf dem Eis – habe ich die Kebo verlassen und mir ernsthaft überlegt, ob ich meine Scoutingtätigkeit an den Nagel hängen soll. Es gab offensichtlich Killerargumente im Spiel von Cunti, bei denen mir die Fähigkeit abgeht, sie zu entdecken. Für mich war einmal mehr schleierhaft, wieso ein solches Talent in der zweithöchsten Schweizer Liga versteckt wird. Bob Hartley hat meine negativen Gedanken verflüchtigt und Cunti am nächsten Tag ins NLA-Kader berufen und ich bin noch immer Scout... Bob Hartley gebührt ein Dank meinerseits!
Was für ein Spieler ist Luca Cunti?
Luca Cunti ist ein seidenweicher Skater, grossartiger Gleiter, mit sehr guter Beschleunigung vom zweiten in den dritten Gang und ohne jeglichen Tempoverlust mit der Scheibe am Stock. Cunti hat extrem weiche Hände und wirksame Dekes und Moves, d.h. kleine Körpertäuschungen von Kopf bis Fuss lassen es in seinem Spiel manchmal sehr leicht aussehen, wie er durch gegnerische Abwehrreihen gleitet.
Trotz seiner nicht eben physischen Spielweise ist er auch erstaunlich gut in Zweikämpfen entlang der Bande und in den Ecken und dies vor allem (oder vielleicht sogar ausschliesslich), weil er extrem gut auf den Schlittschuhen steht und sich dank kleinen Körpertäuschungen mit den Füssen oft aus Drucksituationen befreien kann. Er besticht durch perfekt getimte Pässe (Flip, Vorhand, Backhand) denen kurze Täuschungen vorangestellt sind und dem Passempfänger dadurch zusätzliche Zeit für Optionen ermöglicht.
Cunti hat auch einen überdurchschnittlich guten Schuss – den er aber zu selten einsetzt – und grundsätzlich einen sehr guten offensiven Hockeysense. Er sucht die 1:1-Situationen und praktiziert zu oft die alte sowjetische Schule (Verspieltheit, schwierige „Moves“ in Perfektion, wenig direkten Zug aufs Tor, ausgestrahlte Arroganz auf dem Eis). Cunti geht viele Risiken ein, was (zu) vielen Eishockeycoaches ein Dorn im Auge, aber für die individuelle Skills-Entwicklung wichtig ist. Im Spiel ohne Scheibe und betreffend „Grit“ hat Luca Cunti noch immer viel Verbesserungspotenzial. Sein ehemaliger Coach aus der NCAA, Bob Motzko, hat Luca Cunti mit dem heutigen NHL-Star Tomas Vanek verglichen mit dem er mehrere Jahre gearbeitet hat. Ich habe ihn auf allfällige Defizite betreffend Arbeitseinstellung, Trainingsfleiss und Charakter angesprochen – so wie mir dies in der Schweiz zu Ohren gekommen ist. Bob Motzko hat dies verneint, er könne zu diesem Punkt absolut nichts Nachteiliges sagen und betreffend Karriereaussichten meinte er: „Luca has the chance to become a very special player“ – so der O-Ton von Bob Motzko. Hmm...
Wieso der tiefe Fall in die NLB?
Die Akte Cunti ist ein Lehrstück wie man es nicht machen darf. Dies gilt aber nicht nur für die Beobachter, die Coaches, die Experten die Scouts und „Cunti-Basher“ sondern auch für Luca Cunti selbst. Sachlich beurteilt haben alle Beteiligten Fehler gemacht die zu diesem Missverständnis geführt haben.
Was hat Luca Cunti falsch gemacht?
Luca Cunti hat zu lange zu viel von seinem unglaublichen Talent gelebt und erst spät erkannt, dass derart grosses Talent kein Privileg sondern Verpflichtung ist; Verpflichtung, noch mehr zu tun als andere. Lektion: Die talentiertesten Spieler müssen noch mehr arbeiten als die weniger talentierten, sofern das Ziel Weltklasse ist. Dies tönt auf den ersten Blick unlogisch, ist aber so. Luca Cunti muss noch härter und selbstkritischer werden. Er muss auch auf dem Eisfeld härter, physisch schmerzhafter werden für seine Gegner und lernen, Schmerzen besser zu ertragen. Er muss lernen, noch konsequenter und aggressiver die Zone im Slot zu attackieren, direkt und kompromisslos; er muss auch lernen, mit kleineren Blessuren und bei Unwohlsein auf die Zähne zu beissen und die beste Leistung abzurufen; er muss noch lernen ein Krieger zu werden.
Was haben die Experten falsch gemacht?
Viele Experten haben Gerüchte viel zu leichtfertig als Wahrheiten aufgenommen. Zudem wurden die Schwächen bei Luca Cunti von vielen Experten deutlich übersteigert interpretiert und im Verhältnis zu seinen extremen Stärken falsch gewichtet. Stellen wir uns mal vor, man hätte einen Lionel Messi in die zweite spanische Division geschickt weil man seine Schwäche – die mangelnde Körpergrösse – überinterpretiert hätte. Was lernen wir daraus? Schwächen immer sachlich einordnen, nicht überinterpretieren und nicht schwarz/weiss denken. Die Schwächen von Luca Cunti haben dazu geführt, dass er den Sprung in die NHL (noch) nicht geschafft hat. Dies aber gleichzusetzen, dass er nicht gut genug sei für die Juniorennationalmannschaft und später für die NLA war ein fataler Irrtum!
Was dürfen wir alle jetzt und in Zukunft nicht falsch machen?
Alle die sich jetzt auf die Schulter klopfen, weil sie es ja eh immer gewusst haben, dass Luca Cunti viel besser ist als er gemacht wurde, müssen selbstkritisch und demütig bleiben. Es geht jetzt nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen, jeder von uns macht Fehler in die eine und andere Richtung. Wichtig ist, dass man aus den Fehlern lernt. Erfahrene Eishockey-Experten wissen, dass man bei der Einschätzung von Talenten im Verlaufe einer langen Karriere viele Fehler macht. Fehleinschätzungen gehören dazu, wer dies verneint demaskiert sich sofort als definitiver Nicht-Experte.
Luca Cunti selbst darf jetzt nicht genügsam werden und sich mit dem komfortablen Leben als ZSC-Jungstar zufrieden geben. Er muss mindestens den Ehrgeiz haben, zum dominanten Schweizer Nationalspieler aufsteigen zu wollen. Vom Talent her gehört er in die NHL und zwar in eine erste oder zweite Linie. Die „Cunti-Basher“ müssen lernen, nicht schwarz/weiss zu denken, sie müssen lernen, Zweitmeinungen und Vorurteile kritisch zu überprüfen und die Coaches müssen lernen, dass bei einem Supertalent offensichtliche Schwächen nicht dazu führen dürfen, dass man einen solchen Spieler gar nicht mehr berücksichtigt, sondern dass man sich mit ihm und seinen Schwächen und Stärken kritisch aber auch wohlwollend und konstruktiv auseinandersetzt.
Wer ist der nächste Luca Cunti?
Im bisherigen Werdegang des Neo-Zugers Dominic Lammer gibt es gewisse Parallelen und weitere Beispiele werden folgen...so ist Eishockey...
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… von Thomas Roost
Cunti
Der Schweizer NHL-Scout Thomas Roost hat die zweite Auflage von "Puck-Dreams - Der steinige Weg in die „Big League“,die legendäre NHL" veröffentlicht und befasst sich unter anderem mit dem Thema Schweizer und die NHL. Er sucht nach Gründen, wieso sich bis jetzt erst sehr wenige Schweizer Spieler in der NHL durchsetzen konnten. Darüber hinaus findet der Leser Erkenntnisse aus der übergeordneten Talentmanagement-Forschung. Wie wird aus einem Talent ein Weltklasse-Performer? Es finden sich wertvolle Tipps für Eishockeytalente und alle die das Ziel haben, in ihrer Disziplin Weltklasse werden zu wollen.
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Cunti scheint dieses Jahr auf dem Weg zu sein, den Durchbruch in der NLA zu schaffen. Fotos: Michael Zanghellini