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Mark Streit: "Jetzt wollen wir den grossen Coup!"

Von Martin Merk, Fotos von Thomas Oswald

Nach dem Erreichen des Viertelfinals zieht der Schweizer Nationalmannschaftscaptain Mark Streit Bilanz an der Weltmeisterschaft in Moskau und erzählt über die Montréal Canadiens, Moskau und was er anderen Hockeyspielern empfiehlt.

Das Interview zum Anhören (3,9 MB, WAV-Format)

Mark Streit, ihr habt das Viertelfinale erreicht, was für ein Fazit ziehst du als Captain bislang?

Mark Streit: Das Hauptziel ist erreicht. Wir hatten resultatmässig sicherlich einen sehr guten Start ins Turnier, aber leistungsmässig haben wir nicht das gespielt, was wir wollten, wir haben uns aber während des Turniers steigern können. Schlussendlich ist das Viertelfinale für uns als Team immer ein grosser Erfolg und jetzt wollen wir natürlich den grossen Coup schaffen.

Du sollst ja bei der 0:6-Niederlage in der Kabine recht gepoltert haben, was sagtest du zur Mannschaft?

Was ich wortwörtlich gesagt habe, weiss ich nicht mehr. Es war ein Weckruf. Es war das dritte Spiel, wir hatten bis anhin nicht so gespielt, wie wir es uns vorstellten. Ich dachte es war Zeit, um etwas zu versuchen, um wachzurütteln und sagen: "Hey Jungs, wir sind hier an einer WM und haben eine gute Mannschaft, zeigen wir was wir können! Spielen wir unser Spiel und haben unseren Spass!"

Die Leistungskurve ging dann nach oben. Aber wie erklärst du dir, dass man schlechter gestartet ist als in den vergangenen Jahren?

Schlussendlich war es ein kleines Glück. In der Vergangenheit hatten wir immer viel mehr Energie verbraten in den ersten paar Spielen. Wenn man mit letztes Jahr vergleicht: Im letzten Spiel gegen Weissrussland, da hatten wir keine Kraft mehr, nachdem wir das ganze Turnier sehr gut gespielt hatten. Wir hatten eine super WM, hatten attraktiv gespielt, hatten aber einen Riesenverschleiss und schlussendlich reichte es trotzdem nicht. Jetzt sind wir im Viertelfinale, haben in den ersten Spielen nicht so dominiert wie vorgestellt, aber solche Spiele wie gegen Lettland und Italien kann man praktisch nur verlieren. Wir haben noch nicht das Potenzial und die Grösse, um gegen Italien aufs Eis zu gehen und zu sagen, wir werden das Spiel ohnehin gewinnen, irgendein Spieler macht schon den Unterschied - soweit sind wir einfach noch nicht. Wir kannten die Italiener, sie spielten ein paar gute Resultate heraus, waren ein unangenehmer Gegner für die Mannschaften. Und die Letten sind Neunter in der Weltrangliste, also nicht einfach eine Mannschaft, die man jedes Mal schlägt. Klar ist das Ziel, dass wir diese Mannschaften schlagen, aber es ist nicht selbstverständlich, dass wir einfach durchlaufen.

Du stehst nicht zum ersten Mal im Viertelfinale. Was denkst du, wie gut ihr in Form seid im Vergleich zu den letzten Jahren?

Ich glaube, dass die Leistungskurve stimmt, denn wir hatten zwar keinen super Start, konnten uns jedoch steigern. Für uns war das Finnland-Spiel enorm wichtig, vor allem psychisch und gefühlsmässig. Wir spielten gegen einen grossen Gegner gut und das brauchten wir fürs Selbstvertrauen. Auf ein Spiel hin haben wir durchaus die Chance einen Topgegner zu schlagen.

Was kannst du über euren Gegner sagen?

Die Kanadier spielen ein geradliniges und aggressives Eishockey, wie es von ihnen bekannt ist. Sie werden sicher nicht so kompliziert und verwirrend spielen wie die Russen. Wir dürfen aber nicht zu sehr auf den Gegner schauen und wollen unser Spiel spielen und wenn wir das gut machen, liegt alles drin. Wir wollen an diesem Tag unser bestes Spiel bis anhin zeigen.

Hattest du zu Gegenspielern wie Andrej Markov, die du aus Montréal kennst, speziellen Kontakt in Moskau oder blieb es beim Handshake?

Die Mannschaften sind in verschiedenen Hotels. Bislang war von den Spielern noch gar niemand hier, jetzt sind noch die Tschechen eingezogen, und ich habe kurz mit einem Spieler gesprochen.

Vor zwei Jahren in Wien hast du noch um einen NHL-Vertrag gekämpft, nun hast du eine Saison als etablierter Spieler hinter dir. Wie haben dich diese zwei Jahre persönlich verändert?

Ich bin zu einem NHL-Spieler gereift, habe mir dort den Platz erkämpft, mich etabliert. Nun habe ich das, was ich wollte: einen Stammplatz in der Mannschaft. Ich konnte mich spielerisch weiterentwickeln. Persönlich konnte ich sicher auch einen Schritt machen. Ich habe eine andere Rolle in der Mannschaft, habe Stürmer und Verteidiger gespielt, durfte eine sehr polyvalente Rolle annahmen, in der ich mich als Spiele sehr weiterentwickelt habe.

Wie hast du dich von deinen Fähigkeiten her weiterentwickelt, bis auf die Tatsache, dass du auch als Stürmer eingesetzt wurdest?

In Nordamerika ist es ein anderes Spiel. Vor allem im Defensivspiel muss man von Europa kommend Einiges ändern. Von dem her konnte ich mich defensiv weiterentwickeln und offensiv spiele ich geradliniger, so wie das halt in Nordamerika gefragt ist.

Es gab ja Studien über die Spielerentwicklung. Einerseits heisst es in Europa, man solle sich eher hier etablieren und dann nach Nordamerika wechseln, wie du es gemacht hast, die Nordamerikaner finden, man solle dagegen schnell rüberkommen und schon in den Juniorenligen in Übersee spielen. Was würdest du einem jungen Schweizer Spieler empfehlen?

Schlussendlich hat jeder einen anderen Weg. Ich hatte die Möglichkeit nicht, dass mich eine Mannschaft holte und in ein Juniorenteam brachte. Ich bin dann mit 20 rüber, habe mir selbst ein Team gesucht. Für mich war es aber zu früh, musste in die Schweiz zurück und mich weiterentwickeln, aber es gibt dort natürlich auch 18-, 19- und 20-Jährige. Man muss selbst wissen, ob man bereit ist, um den Schritt zu gehen und zu lernen. Je früher man rüber geht, umso schneller gewöhnt man sich ans kanadische Hockey. Bei einem Schweizer Spieler ist halt fraglich, ob - wenn er mit 25, 26 oder 27 rüber geht - noch den Biss hat. Die Schweiz hat eine super Liga und ein schönes Leben. Dann wieder hinten in der AHL anzufangen, dazu braucht es schon Überwindung.

Wie würdest du das Umfeld in Nordamerika beschreiben mit Reisen, Wohnen etc.?

Es gibt sehr viele Spieler, die eine Familie haben, die haben ein ganz normales Familienleben wie alle anderen auch. Das Eishockey ist ein Job: Man kommt am Morgen, geht am frühen Nachmittag wieder heim. Es gibt solche, die sind mehr bei der Familie daheim. Es gibt solche, die alleinstehend, Junggesellen sind, welche mehr mit den Jungs herum sind, das ist ganz verschieden. Es sind wie in der Schweiz ganz verschiedene Charaktere. Jeder hat ein anderes Leben in diesem Sinn.

Wie gestaltest du deine Freizeit, wenn du nicht am Reisen bist?

Ich lebe direkt in der Stadt und geniesse das Grossstadtleben. Ich gehe spazieren, oder ins Kino, mal auswärts essen. Wenn man so in der Weltgeschichte umherfliegt, ist man auch froh, wenn man daheim ist und selbst mal etwas kochen und die eigene Wohnung geniessen kann. Selbstverständlich verbringe ich Zeit mit meiner Freundin, wenn sie Zeit hat und ich herum bin.

Du hast deine Freundin in Montréal kennengelernt. Bis du nun stärker an die Stadt gebunden?

Selbstverständlich, schlussendlich habe ich jetzt eine Freundin in Montréal, aber ich hatte die Stadt von Anfang an gerne. Sie ist mir ans Herz gewachsen, ich finde sie sehr angenehm und geniesse die Zeit dort sehr. Dank meiner Freundin lernte ich die Stadt auch von anderen Seiten kennen, sie kennt ein bisschen die Geheimtipps. Es hat in Montréal wohl so viele Restaurants, wie es sie sonst nirgends gibt. Es ist eine wunderschöne Stadt. Man hat die Downtown, die sehr überblickbar ist. Fünf Minuten mit dem Auto entfernt ist die Altstadt, die sehr europäisch ist, die ein bisschen aussieht wie die Altstadt in Bern. Dann hast du einen Riesenfluss, eine Formel-1-Strecke, die kleinen Inselchen im Sankt-Lorenz-Strom. Es ist eine sehr schöne Stadt. Vor allem der Sommer muss dort sensationell sein, den kann ich nun dieses Jahr erstmals miterleben. Es hat sehr viel zu bieten, die Stadt ist eine Reise wert.

Sprichst du mehr Englisch oder Französisch in Montréal?

Ich spreche mehr Englisch, ab und zu Französisch, das ich besser verstehen als sprechen kann. Interviews gebe ich je nach dem auf Englisch oder Französisch.

Welche Ziele hast du dir bei den Canadiens für die nächste Saison gesteckt?

Ich bin jetzt noch an der Weltmeisterschaft, dann will ich mich mal richtig erholen im Sommer, schön in die Ferien, dann gut vorbereiten. Sicherlich möchte ich mehr Verantwortung in der Mannschaft übernehmen und mehr spielen, als ich bis anhin spielen konnte, besser spielen und Erfolg haben mit der Mannschaft, vor allem in die Playoffs kommen, das ist das Wichtigste.

Du schwärmst von Montréal. Wie hat es dir bislang in Moskau gefallen?

Moskau ist einerseits im Zentrum eine wunderschöne Stadt mit dem Roten Platz, dem Kreml. Andererseits ist es so eine grosse Stadt, dass es schwierig ist, den Überblick zu behalten bei diesem riesigen Verkehrschaos auf den Strassen. Aber eine sehr interessante und relativ teure Stadt.

Hast du schon etwas von ihr gesehen oder seid ihr im berühmten goldenen Käfig?

Wir haben sehr viel Freizeit. Bei so vielen Spielen muss man aber erst noch die Motivation haben, mit der U-Bahn oder sonst in die Stadt zu fahren. Meistens ist man froh, wenn man zusammen was essen gehen kann, mal Sushi oder Italienisch, ab und zu am Roten Platz flanieren, shoppen. Wenn man Zeit hat, um sich zu erholen, kann man es verbinden mit Spaziergängen oder auswärts essen gehen.

Was ist dein Leitmotto fürs Viertelfinale?

Wir wollen unser bestes Spiel spielen bis anhin und uns für den Halbfinal qualifizieren. Das ist das Ziel, auf das haben wir hingearbeitet und wir haben eine gute Mannschaft und auch das Potenzial, um noch besser zu spielen.




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