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Weissrussland strebt mit Regime-Unterstützung auf

Von Martin Merk, Fotos von Thomas Oswald

Weissrussland steht mit Unterstützung des Regimes vor seinem grössten Erfolg, der erstmaligen Playoff-Qualifikation an einer Eishockey-WM. Mit dem Ex-Washington-Trainer Glen Hanlon steht der "Krueger des Ostens" an der Bande. Für ein Weiterkommen wird aber noch ein Punkt gegen die Schweiz benötigt.

Zwar haben die Weissrussen an ihrer ersten A-WM 1998 in der Schweiz den achten Rang erreicht, dies aber bei einem anderen Modus. Seither reichte es nie für das Viertelfinale und man spielte in den vergangenen Jahren vor allem gegen den Abstieg. Bis letzte Saison. Als eine von zahlreichen Lockout-Verpflichtungen holte man Glen Hanlon als Nationaltrainer aus der NHL. Der Kanadier führte die Weissrussen nach vier Jahren Abwesenheit in die Zwischenrunde und auf Rang zehn, das Engagement konnte gar weitergeführt werden. Nun wurde Hanlon mittlerweile mit seinem Landsmann, dem EVZ-Trainer Sean Simpson, als Assistenten verstärkt und steht vor der Viertelfinalqualifikation. Ein Punkt gegen die Schweiz reicht dafür aus eigener Kraft. Dass dies im Bereich des Möglichen liegt, daran zweifelt nach den Resultaten niemand. Die Weissrussen waren ähnlich erfolgreich wie die Schweiz, fielen durch einen 2:1-Sieg über die Slowakei sowie einer knappen Niederlage gegen Russland (2:3) auf. Neben einer Niederlage gegen Schweden gab es zwei souveräne Siege über Kasachstan und die Ukraine.

Der letzte 9:1-Sieg über das während vier Jahren besser abschliessende Nachbarland Ukraine am Samstag war politisch besonders bedeutsam. Seit der "Orangen Revolution" von 2004 in der Ukraine mit der westlichen Orientierung stehen die beiden Nachbarn weit auseinander. Weissrussland wird seit zwölf Jahren diktatorisch von Alexander Lukaschenko regiert, der sich mit Vorwürfen des Wahlbetrugs, durch Verfassungsänderungen und hartem Eingreifen gegen Oppositionellen an die Macht hält. Er isoliert das Land zum Westen und orientiert sich nach Moskau. Nach alter sowjetischer Schule wird auch versucht, das Land über den Sport zu definieren, wobei Eishockey die Lieblingssportart Lukaschenkos ist. Dafür geht man auch an die Grenzen. In der weissrussischen Liga reihen sich Dopingmeldungen auch von weissrussischen und ukrainischen Internationalen aneinander. Und in Russland ausgebildete, junge Spieler werden vom Regime mit weissrussischen Pässen ausgestattet, werden durch zwei Jahre in der weissrussischen Liga auch beim IIHF für Weissrussland qualifiziert. Vom WM-Kader gingen Alexej Ugarov, Vladimir Svito und Stepan Gorjachevskikh diesen Weg. In der weissrussischen Presse liest man solch kritische Worte natürlich weniger. Selbst Artikel der Sportjournalisten müssen zuerst die Instanzen der Zensur überstehen. Die grösste, private Internetseite über das weissrussische Eishockey wird im lettischen Exil betrieben - wie politisch nicht genehme Medien.

Neben diesem Engagement mit der A-Nationalmannschaft war das Regime im Eishockey auch sonst erfolgreich. Die Juniorennationalmannschaften gehören zu den stärksten "Lift-Mannschaften", zu denen auch die Schweiz, Deutschland, Dänemark, Norwegen und Lettland zählen. Der Stürmer Mikhail Grabovsky (21) von Dynamo Moskau gehört zu den grössten Talenten und ist der Topscorer und Star im Team mit dem Torhüter Andrej Mezin, der ebenfalls zu den sieben Profis aus der russischen Superliga gehört. Grabovsky könnte nächste Saison gar Teamkollege seiner morgigen Gegenspieler David Aebischer und Mark Streit bei den Montréal Canadiens werden, jedenfalls gibt es entsprechende Vertragsverhandlungen. An der U18-WM 2004 lud Lukaschenko persönlich, sorgte mit seinem Polizeikorps für Ordnung und für die U20-WM 2007/08 wartet man noch auf die Bestätigung vom IIHF. Die Austragung ist nach den politischen Entwicklungen in diesem Jahr sowie der Unsicherheit über den Klassenerhalt der Weissrussen noch offen. Auch im Inland ist man erfolgreich: Die weissrussische Liga ist so stark, dass Spitzenmannschaften aus der Ukraine und Lettland als Gast teilnehmen wollen. Und im Gegensatz zu diesen Ländern, wo sich das Eishockey-Geschehen auf die Hauptstädte konzentriert, hat man in Weissrussland mehrere Eishockeyzentren, welche für Nachwuchskräfte sorgen.

Der hohe Einsatz des Regimes, der sich auch durch die kostspielige Verpflichtung des kanadischen Trainerstabs zeigt, hat sich aber an der diesjährigen WM bislang gelohnt. Mit modernerem Eishockey machte man bereits letztes Jahr von sich reden. Selbst bei einer Niederlage gegen die Schweiz wäre der neunte Rang und damit eine Verbesserung auf sicher. "Wir wollen Geschichte schreiben - hier und jetzt!" steht ohnehin auf Shirts und in der Garderobe geschrieben. Der Headcoach Hanlon versprüht bei den Weissrussen Optimismus, Motivation und positive Energie wie Ralph Krueger bei der Schweiz. Weitere Motivation gibt es vom Staatspräsidenten Lukaschenko, der die Mannschaft für die bisherigen Leistungen gratulierte. Auch in Lettland ist man Russland-orientiert dabei: Man lebt neben Russland als einzige Mannschaft im einstigen Sowjet-Ferienort Jurmala und hat auch den eigenen Mannschaftsbus mitgebracht. Nun steht man wohl in der besten WM aller Zeiten, die nur durch die Olympischen Spiele 2002 getoppt werden dürfte. Damals unterlag man in der Vorrunde zwar der Schweiz, qualifizierte sich aber für das Hauptturnier und erreichte bei all den NHL-Stars der Konkurrenz den sensationellen vierten Rang.

An Weissrussland hatte die Schweiz bis auf das verpasste Hauptturnier in Salt Lake City zuletzt keine schlechten Erinnerungen. An der B-WM 1997 in Polen, als beide Mannschaften aufstiegen, war man letztmals hinter "Belarus" klassiert. Seither gewann man an der WM 2001 (5:2) und 2005 (2:0) zwei Spiele, verlor 2000 3:5. Der letztjährige 2:0-Sieg von Wien zeigte, wie nahe sich die Mannschaften von der Leistungsstärke her stehen. Von einem Abnützungskampf sprach der Captain Mark Streit zu der damaligen Partie. Der bisherige Turnierverlauf beider Mannschaften lässt dies auch für morgen andeuten.

Brisanz hat die Partie, weil mit einem Remis die beiden Mannschaften punktegleich sind und Schweden durch den Punktgewinn gegen Russland nicht mehr in der Punktgleichheit wäre. Damit würde beiden Mannschaften ein Remis genügen, um auf Kosten der Slowakei die Viertelfinals zu erreichen.


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Assistent Sean Simpson (l.) und Headcoach
Glen Hanlon (r.) als weissrussisches Trainerduo


Mikhail Grabovsky, zweitbester
Torschütze des Turniers