Eishockey Weltmeisterschaft 2004
in Prag und Ostrava (Tschechien)

Zurück

Hintergrund
Tschechien


Der neue Weltmeister?

Von Urs Berger

An der bisherigen Weltmeisterschaft im eigenen Land konnten die Tschechen überzeugen und spielten teilweise Eishockey von einem anderen Stern. Ihre Gruppenkonkurrenten Deutschland, Lettland und Kasachstan hatten nichts zu bestellen und blieben chancenlos. Die Kufenkünstler aus dem Land der Moldau erhielten nur zwei Tore und erzielten 15 Treffer. Doch nicht immer spielten sie schnörkellos und direkt auf das Tor des Gegners. Ist dies eine Chance für unsere Nationalmannschaft, oder besinnen sich die Tschechen auf ihre Spielstärke zurück? Eine Einschätzung in den Sparten Coaching, Torhüter, Verteidigung, Stürmer, Team und den weiteren Turnierverlauf.

Coach

Mit Slavomir Leger haben die Tschechen einen Coach an der Bande, der auch zu unkonventionellen Mitteln greift. So auch im ersten Drittel des Spieles gegen Deutschland, als seine Mannschaft noch nicht wach und bereit war für dieses Spiel. Ein andermal, als ein Spieler an der diesjährigen Weltmeisterschaft nicht seine Leistung erbrachte, liess er diesen ein Drittel lang auf der Spielerbank und brachte ihn erst im zweiten Drittel. Doch sein Coaching hat auch Nachteile. Zu sehr lässt er seinen Stars aus der NHL die Freiräume, es wird zwar schön gespielt, aber wenn es hart zu Sache geht, sind die Tschechen überfordert und laufen rasch in Konterangriffe der Gegner. Dies kann für die Schweizer ein Vorteil sein. Sie können aus einer gesicherten Defensive heraus agieren und die Tschechen das Spiel machen lassen. Sie sind nicht gezwungen gegen den als Nummer eins gehandelten Topfavoriten zu gewinnen. Auch im Coaching haben die Schweizer einen Vorteil. Ralph Krueger kennt seine Mannschaft in- und auswendig, Lener muss noch experimentieren um die richtige Mischung zu finden.

Torhüter

Auf dem Posten des Torhüters sind die Tschechen ausgezeichnet besetzt. Mit Thomas Vokoun und Roman Cechmanek ist ein NHL-erfahrenes Duo am Werke. Vokoun ist kein Stillist im Tor und wird auch keine Blumentöpfe für den schönsten Stil gewinnen. Doch er macht seine Arbeit ausgezeichnet, ja schon fast perfekt. In eins - zu - eins Situationen ist er kaum zu bezwingen und seine Fanghand ist fast so schnell wie ein Laser. Einige seiner Schwächen sind die Unbeherrschtheit, die Stockhand und die Arbeit mit dem Stock selber. Neben Thomas Vokoun ist Roman Cechmanek nicht zu vergessen. Der 191 cm grosse und 85 Kilogramm "leichte" Cechmanek ist eine gute Alternative für den Trainer Lener, obwohl Lener wohl nicht immer wissen wird, wie Roman Cechmanek spielt... In der NHL ist er dieses Jahr nicht unter den Top 20 Torhütern in der Goals Against Average Statistik, dies wohl auch, weil er letztes Jahr von den Philadelphia Flyers zu den Los Angeles Kings getauscht wurde und somit zu einem schwächeren Team wechselte. Doch nicht nur dies ist massgebend, schreibt doch der "Hockey Scouting Report" über Cechmanek: " Er, Cechmanek, ist im Stande, das einfachste kompliziert zu gestalten, er ist limitiert in seinem Wirkungskreis und manchmal sieht es so aus, dass er nicht weiss, wo die Scheibe ist." Cechmanek ist aber gut in der Arbeit vor dem Tor und bei eins - zu - eins Situationen. Er beherrscht das Abdecken des Tores mit seinem Stock und seinem grossen Körper, aber mit Weitschüssen ist er leicht zu bezwingen. Was können die Schweizer entgegensetzen? Mit Martin Gerber haben sie einen intelligenten und schnellen Torhüter, der sein Spiel in den letzen drei Jahren so perfektioniert hat, das er an guten Tagen kaum ein faules Tor kassiert und auch mit dem Stock und seinem neuen Stil ein Spiel alleine entscheiden kann. Dies spiegelt sich auch schon in seinen Statistiken wieder, in welchen Gerber rund 16 Ränge vor Cechmanek und 18 Ränge vor Vokoun platziert ist. Doch auch Gerber hat seine Schwächen noch nicht ganz ausgefeilt. Hie und da lässt er die Scheibe nach vorne abprallen und kassiert so die Rebounds. Die Schweizer haben jedoch mit Marco Bührer einen guten zweiten Torhüter, der, wenn er weiter so gezielt an sich selber arbeitet, auch eines Tages in der NHL debütieren könnte. Doch seine Schwachpunkte sind, wie auch bei Martin Gerber, die vielen Rebounds vor dem Tor und manchmal fehlt etwas der letzte "Schwung", um die Verteidiger anzutreiben mehr für ihn zu arbeiten. Die letzte Saison mit dem SC Bern hat jedoch gezeigt, dass er auch das lernen kann. Marco Bührer wird jedoch kaum gegen die Tschechen zum Einsatz kommen, so dass er sich mit der Nummer zwei im Nationalteam der Schweizer zu begnügen hat. Aber Marco Bührer ist Profi genug, dies zu akzeptieren.

Verteidigung

Die Tschechen rücken schnell mit der Verteidigung in das gegnerische Drittel vor, provozieren dort viele Fehler des Gegners und können aus allen Positionen schiessen. Auch im Power- oder Boxplay sind die tschechischen Verteidiger eine Klasse für sich. Sie lenken das Spiel von der blauen Linie oder bewegen sich im Boxplay schnell und sicher von einer Seite auf die andere. Sie sind in eins - zu - eins Situationen schwer zu überlaufen, schliessen jedoch schnell auf und die neutrale Zone können sie mit ein, zwei Pässen schnell überbrücken, dadurch ist die Verteidigung jedoch auf Konter anfällig. Die Schweizer haben eine realistische Chance, wenn sie die Verteidigung bei ihren raschen Kontern über die Flügel in die Ecken zieht und von dort aus den schnellen Pass gegen den Lauf des Gegners auf den Center spielen. Die Schweizer haben im Sturm solche Spieler, welche das vollbringen können (Rüthemann, Jenni).

Sturm

Kein laues Lüftchen, sondern ein Orkan, der den Schweizern hier begegnen wird! Namen wie Jaromir Jagr, Jiri Dopita, Vaclav Prospal oder Radek Dvorak sind im Team der Tschechen vertreten. Jeder einzelner dieser Spieler kann ein Spiel zu Gunsten der Tschechen entscheiden. Doch was kann die Verteidigung der Schweizer gegen diese Top-Leute unternehmen? Alle Spieler müssen sich einer einzigen Spielart unterwerfen. Diese muss lauten, die Tschechen das Spiel machen zu lassen und aus einer sicheren defensive schnelle Konter über die Flügel aus zu führen. Dabei gilt es nicht ausser acht zu lassen, dass die Tschechen auch über schnelle Flügel verfügen. Deshalb sollte ein Verteidiger an der offensiven blauen Linie absichern oder sogar noch etwas weiter hinten. Ebenfalls müssen die Stürmer sich mit Verteidigungsarbeiten befassen und gut und solide vor dem Tor abräumen.

Team

Das Team der Tschechen muss zu erst noch fertig gebildet werden. Doch werden sie und das Konzept der schnellen Vorstösse von Spiel zu spiel besser. Vor allem im Offensiv-Bereich sind die Tschechen kaum zu überbieten. Mit ihrem Spielwitz, den schnellen Flügeln und den genialen Centern sind sie kaum zu stoppen. Doch manchmal übertreiben es die Spieler, wollen die Scheibe fast in das Tor tragen, wollen hier noch einen Trick anbringen, dort noch einen Spieler aussteigen lassen. Die Schweizer auf der anderen Seite können die Tschechen mit einem soliden defensiven Spielsystem, welches sie schon erfolgreich gegen die Slowaken angewandt haben, spielen und so die Tschechen zermürben. Doch ist die Tagesform beider Teams entscheidend und wie ernst die Tschechen diese Zwischenrunde nehmen werden. Denn für die Viertelfinalqualifikation reicht ein Sieg für dieses Team.

Weiterer Turnierverlauf

Die Tschechen dürften problemlos in die Viertelfinals einziehen mit Siegen gegen die Schweiz und die Letten. Nur gegen die Kanadier wird es ein enges Spiel geben und die Emotionen hoch gehen. Die Tschechen werden sich aber auch in diesem Spiel durchsetzen, weil sie individuell besser besetzt sind. Im Viertelfinale ist dann alles möglich, denn je nach Gegner geht es einfach oder es wird hart. Sollte es zum Bruderduell mit den Slowaken kommen, dann wäre bereits ein High-Light an den diesjährigen Weltmeisterschaften erreicht. Die Schweizer Nationalmannschaft wird, wenn alles optimal läuft, ebenfalls den Einzug in das Viertelfinale schaffen. Doch wird dies äusserst schwierig. Doch wenn die Teamchemie stimmt und jeder für jeden geht......

Zusammenfassung

Die Schweizer werden gegen die Tschechen als klarer Aussenseiter in das Spiel gehen, denn von den Tschechen wird im eigenen Land nicht mehr und nicht weniger als der Titelgewinn erwartet. Sie sind also unter einem enormen Druck. Sollten die Tschechen auch nur eines der Spiele verlieren, dann würden die Fans wohl sehr enttäuscht sein. Doch auch der Tschechische Verband erwartet nichts geringer als den Titelgewinn der eigenen Mannschaft. Zuviel Druck für die Mannschaft und eine Möglichkeit für einen Aussenseiter, dem Top-Favoriten ein Bein zu stellen?



Kurzportrait
Torhüter:Roman Cechmanek (Los Angeles/NHL), Tomas Vokoun (Nashville/NHL)
Verteidiger:Roman Hamrlik (New York Islanders/NHL), Jan Hejda (ZSKA Moskau/RUS), Frantisek Kaberle (Atlanta/NHL), Jan Novak (Slavia Prag), Martin Skoula (Anaheim/NHL), Jiri Slegr (Boston/NHL), Jaroslav Spacek (Columbus/NHL)
Stürmer:Josef Beranek (Slavia Prag), Jiri Dopita (Pardubice), Radek Dvorak (Edmonton/NHL), Martin Havlat (Ottawa/NHL), Jan Hlavac (New York Rangers/NHL), Jaromir Jagr (New York Rangers/NHL), Milan Kraft (Pittsburgh/NHL), Vaclav Prospal (Anaheim/NHL), Petr Prucha (Pardubice), Martin Rucinsky (Vancouver/NHL), Martin Straka (Los Angeles/NHL), Michal Sup (Slavia Prag), David Vyborny (Columbus/NHL)
Trainer:Slavomir Lener, Assistenten: Vladimir Ruzicka, Antonin Stavjana
Testspiele:Russland 2:1, Finnland 1:3, Schweden 1:2, Schweden 2:1, Finnland 1:5, Russland 3:2, Schweden 2:3, Finnland 5:1, Russland 2:3, Finnland 2:1, Schweden 0:4, Russland 3:2, Frankreich 8:0, Russland 5:1, Russland 4:8, Kanada 8:5