Aus dem Kloten-Forum von User Fredyy:
"Noch ein interessanter Text aus der NZZ
Punk, Ferrari, Cadillac: Die vielen Gesichter des Linus Klasen
Linus Klasen war einer der besten Eishockeyprofis ausserhalb der NHL – nun ist er im EHC Visp gelandet und will mit den Wallisern aufsteigen
Nicola Berger, Langenthal
Es ist Dienstagabend, 22 Uhr 30, und Linus Klasen steht in einem schmucklosen Raum in der aus der Zeit gefallenen Langenthaler Schorenhalle, hinter ihm eine defekte Kaffeemaschine. Es ist eine eigentümliche Staffage für den Satz, der dem Schweden nun über die Lippen kommt: «Ich bin in meiner Wahrnehmung immer noch der beste
Ausländer in der Schweiz.» Er pausiert kurz – und fügt an: «Und zwar in beiden Ligen.»
Es gab eine Zeit, in der darüber weitgehend Konsens herrschte. Sechs Jahre lang hatte Klasen, 35, in Lugano gespielt und dabei mit seinen Finten und Einfällen das Publikum betört. 2016 war er Play-off-Topskorer, 2017 der beste Vorlagengeber der National League.
In Schweden wurde er regelmässig für die Nationalmannschaft aufgeboten, er war ein Star, einer der mitreissendsten Spieler ausserhalb der NHL. Dann wollte Lugano nach einem Managementwechsel keine Verwendung mehr für ihn finden, er sass auf der Tribüne, der Klub wäre ihn gerne losgeworden, doch es fand sich niemand, der das üppige Salär übernehmen wollte.
Klasen hatte es mit dem Wechsel nicht eilig – die Familie war im Tessin sesshaft geworden, sie kaufte ein Haus, und zwei der Kinder wurden dort eingeschult. Als er 2020 in die Heimat zu Lulea wechselte, blieb die Familie in der Schweiz, auch aus gesundheitlichen Überlegungen. Dann kamen die Pandemie und die Reiserestriktionen. Klasen sah seine Liebsten noch zwei Mal und verbrachte unzählige Stunden mit Videocalls. Er sagt: «Noch so ein Jahr hätte ich nicht geschafft.» Er löste den Vertrag in Lulea auf – und suchte einen Klub in der Schweiz. Es gab Gespräche mit dem HC Ambri-Piotta, doch am Ende landete er im EHC Visp.
Visp ist ein stolzer Klub mit einer treuen Fangemeinde, einem modernen Stadion, und solange der Nufenen nicht zugeschneit ist, schafft man es in zwei Stunden nach Lugano. Aber es ist eben auch: die Swiss League, eine Liga in der Anonymität der Peripherie, in der sich Dörfer fernab der grossen urbanen Zentren messen. Auf dem Visper Tenue wirbt eine Dorfmetzgerei, die Gegner stammen aus Biasca, aus Siders, aus Küsnacht. Am Dienstag in Langenthal zahlen 1762 Besucher Eintritt.
Der subversive Geist des Punks
Es ist ein ziemlich radikaler Schritt, Klasen spielte einst in der NHL und war noch im vergangenen Winter der produktivste Powerplay-Spieler im starken schwedischen Championat.
Er zieht die Schultern hoch und sagt, Visp und er, das passe, er werde auch bleiben, wenn in den kommenden Wochen doch noch ein Angebot aus der National League reinflattern würde. In Langenthal gelingt ihm ein Hattrick; es ist augenfällig, dass er für diese Liga zu gut ist. Wer Klasen auf dem Eis beobachtet, sieht einen begnadeten Artisten mit fast subversivem Geist und auffallender Spielfreude.
Es erstaunt nicht, dass sein Vater zu den Pionieren des schwedischen Punkrocks gehörte: Robert Klasen war als Drummer 1978 eines der Gründungsmitglieder von Noice. Die überbordende Kreativität scheint sich auf den Sohn übertragen zu haben; der Vater sagte einmal, sein Sohn habe nur so schnelle Hände, weil er sich als Kind immer am Schlagzeug versucht habe. Heute würde Linus Klasen selber als Musiker durchgehen mit seinem tätowierten rechten Oberarm, dem bärtigen Gesicht und dem Flair fürs Scheinwerferlicht.
Der Kanadier Doug Shedden, der ihn in Lugano coachte, sagt: «Klasen ist eigentlich mehr Künstler als Eishockeyspieler. Er ist so talentiert, dass es fast schon absurd ist; mit seinen Händen könnte er auch Pianist sein.» In Visp schwärmen sie von ihrer Neuverpflichtung – und das nicht nur der Punkte wegen. Der CEO Sébastien Pico berichtet, Klasen sei praktisch immer der Erste in der Garderobe und im Kraftraum. Und der Letzte, der das Trainingsgelände verlasse.
Klasen ist die grösste Attraktion in der Swiss League, seit 2013 der russische Weltstar Alexei Kowalew ebenfalls für Visp spielte und den Klub zum B-Titel führte. Die Frage ist, ob Klasen die Walliser in die gleichen Sphären führen kann. Aus Schweden hat er einen Copain mitgebracht, den Center Niklas Olausson, der einst zwei Jahre im Dienst des EHC Biel stand. Die beiden bilden das explosivste Duo der Liga.
Der Traum vom Aufstieg
Es geht um viel in dieser Saison: Weil in der National League der Abstieg ein weiteres und letztes Jahr ausgesetzt ist, kann der Swiss-League-Champion direkt aufsteigen. Es gibt drei Kandidaten für die Promotion: das hoch favorisierte Kloten, das mit Abstand teuerste Team der Liga. Und daneben Visp sowie Olten. Am Samstag kommt es zum ersten Direktvergleich zwischen Kloten und Visp, es wird ein feuriges Duell, denn die Walliser haben von Kloten den Trainer Per Hanberg übernommen, jenen Mann, der im Frühjahr im Play-off-Final einigermassen schmählich an Ajoie scheiterte, nachdem er sich mit Personalentscheiden verrannt hatte. In Visp soll es besser werden, der Klub plant zweigleisig. Im Falle eines Aufstiegs wäre er offenbar in der Lage, ein Budget von 10 Millionen Franken zu stemmen.
Klasen nährt die zarten Hoffnungen auf eine Rückkehr in die Beletage des Schweizer Eishockeys – exakt fünfzig Jahre nach dem Abstieg. Es ist eines der interessanteren Experimente im Land, ob der Freigeist Klasen unter dem mit fast religiösem Eifer auf Systemtreue und risikoaverse Spielweise versessenen Trainer Hanberg funktionieren kann. Dem «Walliser Boten» diktierte Klasen vor dem Saisonstart ein paar unsterbliche Worte, als er sagte: «Wenn ein Trainer über einen Spieler mit besonderen Qualitäten verfügt, dann muss man diese auch auszunutzen wissen, um das Maximum aus diesem herauszuholen. Wenn du einen Ferrari hast und diesen wie einen Skoda fährst oder fahren lässt, dann ist das schlecht.»
Mit einem Ferrari hat Klasen nicht mehr viel gemein, jetzt, im Herbst der Karriere, da die Tempofestigkeit nachlässt; er ist eher ein Cadillac, ein majestätisches Luxusobjekt, dessen Wert nicht darunter leidet, dass es in die Jahre gekommen ist. Klasen sagt, er warte schon die ganze Karriere auf einen Titel, «ich bin die ewige Nummer 2». Es sei an der Zeit, daran etwas zu ändern, in Visp.
Aus dem E-Paper vom 08.10.2021"