Mittwoch, 3.Mai 2000

 
 Schweiz Russland 
3:2 (1:1 2:1 0:0)
Zuschauer
12'350 (ausverkauft)
Schiedsrichter
Acheson (Ka),Garsjo,Oswald (No/De)
Skorer
20. (19:33) Sutter 1:1
37. Conne (Della Rossa) 2:2
39. Thomas Ziegler (Micheli) 3:2
 Skorer
13. Yashin (Kozlov, Bure) 0:1
36. Kozlov (Yashin, Markov) 1:2
Strafen
5mal 2 Minuten
 Strafen
3mal 2 Minuten
Aufstellung
Pavoni (Ersatz: Gerber); Streit, Keller; Salis, Sutter; Rolf Ziegler, Julien Vauclair; Steinegger, Seger; Della Rossa, Zeiter, Conne; Patrick Fischer, Crameri, Jenni; Thomas Ziegler, Aeschlimann, Micheli; Demuth, Reto von Arx, Rüthemann.
 Aufstellung
Bryzgalov (Ersatz: Podomatski); Gontchar, Kravtchouk; Mironov, Zhitnik; Galanov, Markov; Bure, Yashin, Kozlov; Kovalenko, Kudashov, Kamenski; Petrov, Prokopiev, Kharitonov; Afinogenov, Nikolishin, Souchinski.
Bemerkungen
Pfostenschüsse Jaschin (9.), Bure (20.); Zeiter (57.). Die Schweiz wird Gruppenzweiter und ist somit weiter! Torschüsse: 21:36.
Bilder
   

   

   

   

   

   

   

   



Die Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft hat an der A-WM in St. Petersburg das scheinbar Unmögliche geschafft. Mit einem 3:2 (1:1, 2:1, 0:0)-Sieg über Russland zog sie trotz der Niederlage gegen Frankreich noch in die Zwischenrunde ein. Und das Tor zu den Viertelfinals steht nun bereits weit offen! Gewiss war es ein glückhafter Sieg. Der Druck, den die Russen phasenweise ausübten, war immens. Unverdient war die Sensation aber nicht. Die Schweizer kämpften mit riesigen Herzen. Sie taten alles, was in ihrer Macht stand. Sie spielten einfach und nie riskant. Mit einer Leistung wie gegen die Russen wäre es nie zum montäglichen 2:4-Debakel gegen die Franzosen gekommen. Das Team von Ralph Krueger profitierte vielleicht auch vom kanadischen Schiedsrichter Acheson, der sehr tolerant war und vieles durchgehen liess. Aber in erster Linie glaubte es an seine Chance und gab von der ersten bis zur letzten Sekunden keinen Zentimeter Eis kampflos auf. Ralph Krueger sprach nachher von der besten Leistung einer Schweizer Nationalmannschaft aller Zeiten. "Charakter, Mut, Kampf, Wille -- wir haben alles gezeigt, was es zu einer perfekten Teamleistung braucht", so der Nationalcoach. Die Helden waren am Ende Reto Pavoni, der eines seiner besten Länderspiele zeigte, Verteidiger Patrick Sutter, der nicht erst gegen die Russen der beste Akteur in der SEHV-Auswahl war, und die Jungen. Der 20-jährige Flavien Conne mit einem Kunstschuss und 118 Sekunden später der 21-jährige Thomas Ziegler erzielten die Tore vom 1:2 zum 3:2. Connes Ausgleich fiel bloss 56 Sekunden, nachdem die Russen durch Viktor Koslow zum zweiten Mal in der Partie in Führung gegangen waren. Sowohl Conne wie Thomas Ziegler hatten sich erst im letzten Monat ihr WM-Ticket gesichert. Sutters Tor Dass dies vor 12 300 Zuschauern im ausverkauften neuen "Ice Palace" kein gewöhnlicher Abend würde, deutete sich spätestens in der 20. Minute an, als Patrick Sutter direkt von der Strafbank aus kommend alleine auf den russischen Goalie Brytsgalow zulaufen konnte und diesen im Stil eines NHL-Topstürmers ausspielte. Der bald 30-jährige Verteidiger ist wahrlich kein Topskorer. Er hat in der Nationalmannschaft mehr (Gegen-)Tore von der Strafbank aus miterlebt als selber Tore geschossen. Wenn aber Sutter traf, passierte oft Denkwürdiges. Vor einem Monat wurde Schweden 6:4 besiegt, vor einem Jahr Finnland 4:2 und vor zwei Jahren an der Heim-WM Frankreich 5:1 ("das Wunder von Zürich"). Zuvor traf Sutter auch bei einem 2:0 gegen Kanada und bei einem 2:2 gegen Russland. Sutters Ausgleich zum 1:1 brachte den Schweizern die Hoffnung zurück. Diese drohte im ersten Drittel zu schwinden, als die Russen ihren Gegner schwindlig spielten. Alexej Jaschin erzielte in der 13. Minute das 1:0, zuvor hatten die Gastgeber bereits sechs hochkarätige Chancen vergeben. Den Schweizern dagegen boten sich kaum Möglichkeiten. Crameri besass eine in der 15. Minute. Der Sieg wurde möglich, weil die SEHV-Auswahl eine denkwürdige Effizienz an den Tag legte. Die Chancen, die Sutter, Conne und Thomas Ziegler verwerteten, waren zwischen der 15. und der 45. Minute die Einzigen. "Hexer" Pavoni Dass die Schweizer in dieser Phase stets im Spiel blieben, verdankten sie Reto Pavoni. Der 32-jährige Klotener, für den die letzten beiden Weltmeisterschaften unglücklich gelaufen waren (beide Male verlor er die Nummer 1 an David Aebischer), wurde zum eigentlichen Schweizer Helden. Er "hexte" die Schweizer zum Sieg und blieb auch im grössten russischen "Schusshagel" die Ruhe selbst. Für die Schweiz war es im 39. Länderspiel gegen Russland oder die ehemalige Sowjetunion erst der dritte Sieg -- und zum zweiten Mal (nach dem 3:0 im Februar 1992 in Fribourg) stand Pavoni im Tor. Nur beim 4:2 vor zwei Jahren an der Heim-WM in Basel stand David Aebischer im Tor. Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem "Wunder von Zürich und Basel", wo ein 5:1 gegen Frankreich zum auch damals nicht mehr erwarteten Erreichen der Finalrunde ausreichte und danach Russland 4:2 besiegt wurde, passierte also das "Wunder von St. Petersburg". Wiederum sind die Franzosen die tragischen Figuren. Trotz des Sieges über die Schweiz und der beherzten Leistung gegen die USA (2:3) müssen sie ab Samstag gegen den Abstieg kämpfen. Viertelfinals in Griffnähe Für das Krueger-Team dagegen hat sich die Ausgangslage nun innerhalb zweier Tage zweimal um 180 Grad gewandelt. Nach dem 2:4 gegen Frankreich drohte sogar der Abstieg, nun ist das Erreichen der Viertelfinals bereits in Griffnähe. Weil in die Zwischenrunde die Punkte aus den Direktbegegnungen mitgenommen werden, startet die Schweiz mit drei Punkten aus zwei Spielen in die zweite WM-Phase. Diese beginnt für die Schweiz erst am Samstag, vermutlich gegen Schweden. Weissrussland und vermutlich Lettland werden die weiteren Gegner sein. Die besten Vier dieser Sechsergruppe werden die Viertelfinals erreichen. Jakuschew vor der Absetzung Gewaltig unter Druck steht dagegen Russland. Die Gastgeber haben zwar am meisten Talent in ihrem Team (14 NHL-Spieler), sind aber noch keine Mannschaft. Ebenso wie Kanada, das nach dem 3:4 gegen Norwegen auch 1:2 gegen Titelhalter Tschechien verlor, starten die Russen ohne einen Punkt in die Zwischenrunde. Ob Alexander Jakuschew am Freitag gegen Schweden noch an der russischen Bande stehen wird, erscheint nach der zweiten Niederlage innerhalb von 48 Stunden mehr als fraglich. Das Publikum bedachte am Ende die eigene Mannschaft mit Häme -- und die Schweiz mit rhythmischem Klatschen und einer stehenden Ovation während der Nationalhymne...

Der Defensivcenter nach dem unglaublichen 3:2-Erfolg: Aeschlimann: "Wir haben die russischen Individualisten frustriert" spg. Als zwölf Sekunden vor Schluss das letzte Bully in der Schweizer Zone anstand, umarmten sich alle Mitglieder des Teams von Ralph Krueger, so als ob sie Geister beschwören wollten. Und nach dem Erfolg brachen alle Dämme, die Spieler bildeten eine Traube um Matchwinner Reto Pavoni. Zu den Baumeistern des Erfolges zählte auch Jean-Jacques Aeschlimann, der zu den unverzichtbaren Elementen in Kruegers Erfolgsmosaik geworden ist. Jean-Jacques Aeschlimann, herzliche Gratulation zu dieser unglaublichen Leistung. Wie erklären Sie sich diesen Exploit? Jean-Jacques Aeschlimann: "Wir haben immer an den Sieg geglaubt und uns hundertprozentig an den Plan gehalten, den uns Ralph Krueger vorgegeben hatte. Es ist uns gelungen, den hervorragenden Individualisten der Russen nicht viel Raum zu lassen und sie so zu frustrieren. Sie haben sich dann immer mehr in Einzelaktionen verloren. Wir hingegen haben sehr einfach und diszipliniert gespielt und haben uns auch vor unspektakulären Befreiungsschlägen nicht gescheut." Zudem hattet Ihr mit Reto Pavoni einen Teufelskerl im Tor. Aeschlimann: "Natürlich hat Pavoni eine extrem starke Leistung gezeigt. Er ist aber ein Teil der Equipe und jeder Einzelne hat seinen Job wirklich hervorragend erledigt." Welches Gefühl war es, Bure, Jaschin und Co. nach diesem Erfolg die Hand zu schütteln? Aeschlimann: "Natürlich ein sehr gutes. Die Russen liessen umgekehrt den Kopf schon etwas hängen. Sie sind als Turnierfavorit gestartet, haben grossen Erwartungsdruck auszuhalten und haben nun zweimal hintereinander verloren." Zwei Tage zuvor die katastrophale Leistung gegen Frankreich und nun dies: Wie kam es zu diesem Wandel? Aeschlimann: "Wir haben untereinander viel über diese Niederlage diskutiert und Ralph Krueger hat Sie natürlich im Aufwärmtraining vor dem Spiel auch angesprochen. Wir hatten uns am spielfreien Tag gut ausgeruht und waren optimal vorbereitet. Das Wichtigste war, dass wir den Kopf nicht hängen liessen. Wir waren hundertprozentig motiviert, um den Fauxpas gegen die Franzosen zu korrigieren." Zwischen zu Tode betrübt und himmelhoch jauchzend: In wenigen Stunden habt Ihr sämtliche Stadien auf der emotionalen Skala durchlaufen. Wie lebt es sich mit dem jetzigen Hoch? Aeschlimann: "Ausgezeichnet, wir dürfen diesen Erfolg sicher auskosten. Aber nicht zu lange, denn wir sind nicht soweit gekommen, um nun einfach noch ein wenig mitzuspielen. Wir können jetzt sehr viel erreichen." Die Ausgangslage ist tatsächlich optimal: Ihr startet mit drei Punkten in die Zwischenrunde. Träumt man da schon von einer Medaille? Aeschlimann: "Träumen? Wir dürfen nicht zu weit nach vorne schauen und müssen Spiel für Spiel nehmen. Wir haben tatsächlich eine hervorragende Basis und die gilt es zu nutzen. Keine Frage, dass wir dazu imstande sind." Besteht nun nach diesem Erfolg nicht die Gefahr, im Gegensatz zum Match gegen die Russen wieder zu offensiv zu werden und die defensiven Tugenden zu vergessen? Aeschlimann: "Wir müssen auch weiterhin einfach spielen, um Erfolg zu haben, das ist nun klarer denn je. Wir haben nun zwei Tage, um wieder aufzutanken und werden dann für den nächsten Match bereit sein."