Musterschüler aus der Pyramide

15.2.2018 - Von SLAPSHOT/Matthias Müller - SLAPSHOT Ausgabe Nr. 5, Feb./März 2018

Reto Schäppi (27) hatte einst als einer der ersten Junioren die Zürcher Lions-Pyramide in ihrer gesamten Höhe erklommen. Heute ist der Hüne zweifacher Meister, regelmässiger WM-Fahrer und der beste Bottom-Six-Center der Schweiz. Nun ist er mit der Nati bei den Olympischen Winterspielen in Korea – auch um Schwung für die Playoffs zu holen.

Hand aufs Herz: Wer ins Hallenstadion geht, um sich von den ZSC Lions einfach ein wenig unterhalten zu lassen, der kommt wahrscheinlich nicht wegen Reto Schäppi. Der Stürmer skort zwar dann und wann, aber dennoch nicht übertrieben oft. Er teilt nicht speziell viel oder sonderlich hart aus, er präsentiert keine Kabinettstückchen und sein Fahrstil wirkt auch nicht besonders elegant. Es ist deshalb nicht ganz frei von Ironie, dass Reto Schäppi hockeytechnisch eigentlich ein Star ist. Ja, einer der grössten, den die talentverwöhnten ZSC Lions in ihren Reihen haben. Denn: In seiner wichtigen Rolle als Dritt- und Viertliniencenter ist der 27-Jährige der Beste mit Schweizer Pass. Der grossgewachsene und kräftige Center gewinnt sehr viele Bullys, hat einen starken Stand, viel körperliche Wasserverdrängung, einen guten Schuss und ein aufopferungsvolles und gewissenhaftes Defensivspiel. Qualitäten, die Reto Schäppi an internationalen Grossturnieren noch besser aussehen lassen als im heimischen Championnat. Qualitäten, die ihn vier Mal in Serie an eine WM reisen liessen, Qualitäten, die ihn nun zum ersten Mal zum Olympiateilnehmer machen. «Es ist ein Traum, der in Erfüllung geht», sagt Schäppi folgerichtig.

Schuster bleib bei deinen Leisten

Das Träumen, man hört es ein wenig in seinem Tonfall, ist für ihn eigentlich untypisch. Olympia scheint die Ausnahme zu sein, die die Regel bestätigt. Schäppi ist vielmehr ein Realist, der genau weiss, was er kann und nach der Maxime «Schuster bleib bei den Leisten» arbeitet. Es ist sein Erfolgsgeheimnis. Er sagt: «Ich bin kein grosser Playmaker, ich habe meine Stärken im Boxplay, ich kann in der Offensive Zeit kreieren, bei Bedarf Tore schiessen, die besten gegnerischen Spieler aus dem Spiel nehmen, mich in den Zweikämpfen durchsetzen. Auf diese Dinge muss ich mich konzentrieren, denn so kann ich dem Team am besten helfen. Wenn ich danach begehrt hätte, mit den Ausländern im ersten Block zu spielen, dann wäre ich wohl schon sehr oft enttäuscht worden.» Natürlich spricht da aus Schäppi ein fleissiger und anständiger Charakter. Doch gleichzeitig muss man sich schon bewusst sein, dass man es eben auch mit einem Musterschüler der in den frühen 2000er-Jahren errichteten Lions-Ausbildungspyramide zu tun hat. Das damalige Zürcher Vorzeigeprojekt in Sachen Nachwuchsförderung hat den Walliseller zum perfekten Hockeyspieler geschliffen. Eine genaue Karriereplanung, individuell abgestimmte Trainings, die nötige Geduld – Schäppi, dessen physische und charakterliche Stärken bereits früh zu erkennen waren, kam in den Genuss der bestmöglichen Hockey-Ausbildung, die man in diesem Land zu dieser Zeit bekommen konnte. Und zahlte das mit Loyalität zurück. Bis heute hat er noch nie für einen anderen Klub gespielt, seine zuverlässige Art und teamdienliche Spielweise hat die Entfaltung all des spielerischen Talents rund um ihn herum und damit den Gewinn zweier Meistertitel mitermöglicht. Es ist insofern nur konsequent, dass sich der Mittelstürmer in jüngster Zeit auch in der Kabine zu einer tragenden Säule entwickelt hat. Dies hat sich in dieser Saison, mit dem Captain-Wechsel von Mathias Seger zu Patrick Geering, in seiner Aufnahme ins Captain-Team nun auch offiziell niedergeschlagen. «Ich schaue darauf, dass wir in der Kabine Harmonie haben und Probleme angesprochen werden», erklärt er relativ unumwunden.

Wie in der Meistersaison 2012?

In dieser Hinsicht war er in den letzten anderthalb Jahren wohl bereits stärker gefordert, als ihm lieb sein konnte. Die beiden schwedischen Trainer Hans Wallson und Lars Johansson hatten letztlich erfolglos versuchten, der Mannschaft ihr Konzept zu vermitteln. «Ich habe viel mit ihnen gesprochen und glaube, dass das zentrale Problem die Kommunikation war. Ihre Ideen waren gut, aber es blieben wegen den sprachlichen Barrieren zuviele Grauzonen übrig. Es wäre interessant zu wissen, wie es gewesen wäre, wenn wir alle schwedisch gesprochen hätten», so Schäppi. Und: «Es geht nicht um fehlende Härte oder zu viel Eigenverantwortung. Es geht um klare Kommunikation.» Mit Hans Kossmann haben nun neue, direktere Töne Einzug gehalten. Schäppi begrüsst das. «Jetzt spielen wir Playoff-Hockey. Das ist gut, ein wohltuender Unterschied zu den letzten Jahren, als es in der Qualifikation immer so einfach gegangen ist. Es fühlt sich ein klein wenig wie damals in der Meistersaison unter Bob Hartley an.» Dass man davon noch weit entfernt ist, weiss Schäppi natürlich. Auch er muss sich noch stark steigern. Während seine Leistungen im Nationalteam in dieser Saison sehr ansprechend waren, ist er in der Meisterschaft wie viele seiner Teamkollegen hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Insofern kommt ihm die Reise nach Pyeongchang ziemlich gelegen: Die drei Wochen im Traum Olympia sind seine Chance, um noch einmal richtig Schwung für den Schlussspurt in der Realität, den Playoffs mit den ZSC Lions, zu holen.

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Schäppi

Reto Schäppi macht Druck auf das kanadische Tor in der ersten Partie der Schweizer Herren-Nationalmannschaft bei den Olympischen Winterspielen. Foto: Andreas Robanser

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