Die "WM der Herzen"

19.4.2012 - Von Daniel Gerber

Sie ist die „WM der Herzen“ und der wahren Hockeypioniere – in der Division III duellieren sich unter anderem Griechenland, die Mongolei und Gastgeber Türkei (15. bis 21. April). Am auffälligsten ist der türkische Stürmer Serdar Semiz mit zwei Toren pro Spiel.

Rund zwei Flugstunden von Istanbul entfernt senkt sich der Airbus A320 nach einer Bergkette in ein breites Talbecken und zieht eine weite Schleife um weitere Höhe abzubauen. Wegen der geringen Luftdichte landet die Maschine zügig in der malerischen Hochebene. Auf dem Flughafen spuckt das Arbeitspferd eine bunte Gesellschaft aus: ein Eishockeyteam aus Irland in grün-weiss, eines aus Griechenland in blau-weiss und das Team aus der Mongolei, dessen Spieler sich fröhlich vor dem Vogel fotografierten.

In der Wintersportstadt Erzurum trifft sich die Crème de la Crème des exotischen Eishockeyschaffens. Im Juwel Ostanatoliens wurde im letzten Jahr bereits die Winter-Universade durchgeführt und heuer ging die Nordische U23-WM hier über die Bühne.

Ende Winter endet Saison

„Eishockey ist in der Mongolei wenig verbreitet“, erklärt Trainer Ganbaatar Khurelbaatar nach zwei Spieltagen gegenüber hockeyfans.ch. Die Herren-Liga besteht aus sechs Clubs. „Wir verfügen nicht über gedeckte Eishallen. Das Eis bereiten wir mit Eis und Schaufeln auf.“ Es gebe kein Dach, keine Sitzplätze, die Leute stehen einfach an der Bande und die Saison dauert etwa zwei Monate.

„Wenn der Winter endet, ist auch die Saison vorbei“, grinst Khurelbaatar. Es gibt eine Qualifikation und Playoffs. Ausgetragen an Turnierwochenenden für welche die Spieler ihre Ferien opfern.

„Eishockey ist bei uns eine Sache des Herzens. Wer kein Herz hat, spielt nicht Eishockey.“ Ziel der Mongolen ist, erstmals an einer WM ein Spiel zu gewinnen. An den Asien-Spielen gelang dies bereits.

Eishockey eint

Auf dem Eis schenkten sich die Griechen und die Türken zum Auftakt nichts. Neben dem Eis aber schienen sich die beiden Teams gut zu verstehen. „Die Probleme unserer Nationen sind Probleme der früheren Generation und von Leuten, die nichts besseres zu tun haben“, lacht der griechische Stürmer Themistoklis Lambridis. Eishockey eint alle Menschen, das sehe man selbst hier in der untersten Division.

Dies bestätigt sein Kamerad und Türkei-Verteidiger Akyildiz Cengiz: „Wir spielen unter dem gleichen Dach. Wir kümmern uns nicht um die Politik. Eishockey ist unsere Kultur und unsere Sprache!“

Und noch etwas haben die beiden jungen Sportler gemeinsam: beide treten für neuseeländische Teams an, Cengiz für die Canterbury Red Devils, Lambridis mit den Southern Stampede. Nicht als teuere Auslandprofis, denn Lohn und Brot gibt es nicht. Lambridis: „Wir zahlen, um zu spielen.“

„Grosse Herzen“

Vor der gleichen Herausforderung stehen auch die Iren, die aus der zweiten Division abgestiegen waren. Eigentlich war das Ziel, direkt wieder aufzusteigen. Dieses wurde aber rasch weggewischt und war auch nicht als realistisch betrachtet worden. Seine Spieler könnten nur wenig trainieren, erklärt der irische Trainer Kenneth Redmond.

„Das geht nur an den Wochenenden, an denen Belfast Heimspiele hat. Ansonsten trainieren wir im Kraftraum. Ich habe gute Spieler und wir müssen eben mit dem arbeiten, was wir haben.“

Möglich, dass im nächsten Jahr in Dublin eine Eishalle eröffnet wird.

Captain Stephen Hamill: „Wir steigern uns von Spiel zu Spiel. Wir haben grosse Herzen und zeigen Charakter. Und wir kämpfen bis zum Ende.“

So etwa im engen Fight gegen die Türkei, ein Spiel, in dem die Führung mehrmals wechselte – zum Ende setzte sich der Gastgeber schliesslich 5:3 durch. Mit dem gleichen Resultat übermannten die Iren die Griechen, die punkto Training vor dem gleichen Problem stehen.

„Mad Cows“

Dies zum Ärger von Stürmer Eleftherios Fournogerakis: „Wir verloren den Fokus und nahmen zu viele Strafen!“

Sein Club übrigens ist in Athen beheimatet und heisst „Mad Cows“.

„Der Name entstand aus Jux. Wir waren ein paar Freunde, das Team wuchs und seit fünf Jahren sind wir jetzt in der griechischen Liga. Auf der Brust tragen wir eine Kuh!“

Beim Namen „Mad Cows“ müssen sich selbst die „Dubai Mighty Camels“ geschlagen geben und selbst die „Power Mäuse“ scheinen hier betreffend witzigem Tiernamen ihren Meister gefunden zu haben.

Apropos Namen: Nordkorea zählt sechs Kims – in der Schweiz konnte in dieser Saison nur der SC Langenthal mithalten, mit seinen Marcs (Marc Eichmann, Marc Leuenberger, Marc Schefer, Marc Wolf, Marc Kämpf und eingangs Saison Marc Kern).

Der Bomber vom Bosporus

Über ungleich mehr Eishallen verfügt die Türkei. „Wir wollen aufsteigen“, gibt Trainer Tuncay Kilic die Marschrichtung bekannt. Der härteste Gegner ist Nordkorea. Den Asiaten stehen die Türken heute Donnerstag gegenüber.

Kilics schärfste Waffe ist Serdar Semiz. Der schwedisch-türkische Doppelbürger pausierte vier Jahre, um für seine mediterrane Heimat antreten zu können. Zur WM-Eröffnung wurde er zum Bomber vom Bosporus: er schoss drei Tore und feierte zudem seinen 30. Geburtstag an seiner Heim-WM. Mittlerweile traf Semiz drei weitere Male.

Nordkorea träumt von der WM

Populärer ist die Sportart in Nordkorea. „Wir haben über 3000 Spieler, vier gedeckte Hallen und acht ungedeckte. Neben Fussball ist es der wichtigste Sport”, gibt Teamleiter Yong Chol Yu einen Einblick ins nordkoreanische Eishockeyschaffen.

Insbesondere gegen das Team aus Griechenland wurde es für die Asiaten sehr eng. Beim Stande von 2:1 musste die Volksrepublik in kurzer Zeit zwei längere Phasen mit drei gegen fünf Spieler überstehen. Trainer Chang Dok Pak: „Das war hart, aber ich glaubte an meine Spieler!“ Und er wünscht sich, dass eine der nächsten Weltmeisterschaften in Nordkorea ausgerichtet wird: „Das würde unser Eishockey fördern!“

Daheim bei Hockeyenthusiasten

Viele der Spieler sind echte Hockey-Pioniere, da in ihrer Heimat Eishockey kaum bekannt ist.

Der Finne Kimmo Leinonen, der Obmann des Turnierdirektorats ist, sagt zum Anlass: „Ich bin sehr zufrieden mit dem ganzen, es ist einmalig. Die Spieler kennen die grossen Ligen wohl einfach aus dem Fernsehen, aber sie haben ein grosses Herz. Und die Gastgeber sind sehr begeistert und fasziniert. Hier wie auch in der Division II ist sehr viel Pioniergeist.“

Erfreut war auch Özgür Aslan, der Vize Gouverneur, dem auch der Sport unterliegt. Als ihn hockeyfans.ch in seinem Büro besuchte, erklärte er: „Diese Sportanlässe sind sehr wichtig für uns und wir sind gerne auch für weitere Events Gastgeber. Unser Wunsch und Ziel ist, in zwanzig, dreissig Jahren die Olympischen Spiele zu beheimaten. Aber das ist ein langer, schwerer Weg. Es gilt, den türkischen Wintersport zu verbessern.“

Es ist die WM der Herzen, was das Turnier trotz beschränktem spielerischen Talent so speziell macht.

Background-Portal

Fotos aus Erzurum

Fotos von Daniel Gerber

Das Panorama zeigt, weshalb Erzurum ein Wintersportort ist.

Der Eishockey-Torhüter lässt die Teambusse nach Erzurum durch.

Durch Eishockey vereint: Der Türke Akyildiz Cengiz und der Grieche Themistoklis Lambridis spielen in Neuseeland.

Handshake nach dem Spiel Mongolei gegen Nordkorea.

Zwei Funktionäre der Nordkoreaner, begleitet vom "grossen Führer" am Anzug.

Özgür Aslan, Vize-Gouverneur und zuständig für das Sport Ressort.

Der Finne Kimmo Leinonen wurde von der IIHF als Vorsitzender des Turnierdirektorats nach Erzurum geschickt. Rechts der türkische Verbandspräsident Orhan Duman.