Vom Schönwetterspieler zum Verteidiger

22.10.2018 - Von SLAPSHOT/Matthias Müller - SLAPSHOT Ausgabe Nr. 2, Okt./Nov. 2018

Rapperswil-Verteidiger Jorden Gähler ist im Alter von 25 Jahren doch noch in der National League angekommen. Zu seinem Glück musste der Ostschweizer aber fast schon gezwungen werden.

Wenn man Jorden Gähler eines nicht vorwerfen kann, dann wäre das mangelnde Selbstreflexion. Gleich mehrfach wird der 25-Jährige im Gespräch über seinen langen Weg in die National League einen Satz mit «Wenn ich ehrlich bin» beginnen. Ein nicht zu unterschätzendes Detail. Denn ohne Ehrlichkeit, vor allem gegenüber sich selbst, wäre Jorden Gähler heute nicht Eishockeyprofi. So sagt der Verteidiger der SC Rapperswil-Jona Lakers: «Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich schon eingestehen, dass ich Zeit meiner Juniorenlaufbahn nie wirklich hart arbeiten musste.» Und spricht damit indirekt ein Problem an, dass nicht nur ihn selbst, sondern auch das Schweizer Eishockey als Ganzes betrifft. Denn in seinem Werdegang spiegelt sich die vielleicht grösste Herausforderung, der Talente im Schweizer Juniorenhockey gegenwärtig ausgesetzt sind: mangelnde Konkurrenz und die damit einhergehende, stille Gefahr der Genügsamkeit. Der Sohn eines Schweizers und einer Tibeterin, bei Uzwil und Kloten zum offensiven Stürmer ausgebildet und mehrfacher Juniorennationalspieler, war einst genau in diese Falle getappt. Umso bemerkenswerter ist der Umstand, dass, und vor allem wie er die Kurve dennoch gekratzt hat.

Auf die Welt gekommen
«Als ich bei Kloten mit 18 einen Profi-Vertrag unterschrieb, hatte ich das Gefühl, dass ich nun durchstarten könnte», erinnert er sich, «doch dann kam ich auf die Welt.» Eine Welt, die für ihn offensichtlich eine Schuhnummer zu gross ist. Der Kontrast zwischen Junioren und Profis ist wie Tag und Nacht, er selbst mit der Situation und dem Konkurrenzdruck überfordert. Als auch eine Ausleihe zum B-Ligisten Thurgau nicht fruchtet, zieht Gähler mit nur 21 Jahren die Reissleine. Er begräbt den Traum vom Hockeyprofi, besorgt sich einen 80 Prozent-Job in einem Uhrengeschäft und wechselt in die erste Liga zu Winterthur. «Ein paar Kollegen spielten bei Winti, also schloss ich mich ihnen an. Ich wollte einfach noch ein wenig Spass haben», so das vermeintlich durch die Maschen gefallene Talent. Bereits zum Saisonstart kommt es zum grossen Wendepunkt – nur dass das zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiss. Als in der Verteidigung gleich mehrere Spieler ausfallen, muss sich ein Stürmer opfern. Keiner will. Trainer Markus Studer versucht letztlich Gähler zu überreden, dieser willigt eher widerwillig ein. «Dann hab ich's wenigstens hinter mir», habe er sich nur gedacht. Der erste Einsatz wird zum «Aha-Moment». In einer guten Mannschaft und einer Liga mit wenig taktischen Fesseln kann sich der offensive Stürmer auf der neuen Position entfalten: «Der viele Scheibenbesitz, die kreativen Freiheiten, die Möglichkeit, Spielzüge zu gestalten – all das ist mir enorm entgegengekommen. Gleichzeitig gewannen wir Spiel um Spiel.» Zum Ende dieser «wunderbaren Saison» steigt der EHC Winterthur als überragender 1. Liga-Meister in die Swiss League auf, und Gähler reduziert das Pensum beim Uhrengeschäft auf 50 Prozent. Der begrabene Traum von der Hockeykarriere ist plötzlich wieder da.

Pendler zwischen den Welten
In der Swiss League geht der Aufstieg weiter. In der ersten Spielzeit schiesst Gähler zehn Tore – mehr als jeder andere Verteidiger in der Liga. Weil sich der EHC Kloten, der Klub, bei dem er sich nicht durchsetzen konnte, redimensioniert und enger mit seinem Partnerteam in Winterthur zusammenarbeitet, debütiert er bald einmal in der National League. Im Sommer 2016 unterschreibt er dort sogar einen Profivertrag, gewinnt den Cup. Dennoch bleibt er ein Pendler zwischen den Welten, in Kloten traut man ihm den Schritt die National League nicht zu. Ein eigentliches Problem ist das nicht, denn Gähler ist zu einer weiteren Erkenntnis gelangt. «Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich eigentlich erst da realisiert, was ich eigentlich am Eishockey hatte. Ich habe den Arbeitsplatz vor dem PC noch so gerne eingetauscht. Eishockey-Profi ist der Traumberuf.» Um diesen Traumberuf weiterhin ausüben zu können, wechselt er schliesslich zu den ambitionierten Rapperswil-Jona Lakers. Es locken ein guter Trainer, eine passende Herausforderung und die Aussicht auf sportlichen Erfolg. Ein Aufstieg mittels Aufstieg? Das Rezept hatte ja schon einmal funktioniert. Und siehe da: Im letzten Frühling hat es Jorden Gähler nicht nur als bislang einziger Spieler überhaupt geschafft, einen Cupsieg zu verteidigen, sondern auch mit seinem neuen Team dem Klub den Platz in der höchsten Liga abzujagen, bei dem er sich zwei Mal nicht hatte durchsetzen können.

Als Stürmer ein Schönwetterspieler
«Wenn ich ehrlich bin, dann war ich als Stürmer durch und durch ein Schönwetterspieler», resümiert der National League-Verteidiger Jorden Gähler heute. «Auf dieser Position hätte ich es nicht einmal in die Swiss League gebracht.» Ja, aus seiner Sicht ist unbestritten, dass es erst der Wechsel in die Abwehr war, der ihn erlöste. Denn: «Ich war gezwungen, beide Wege zu gehen, ich war gezwungen physisch und aufopferungsvoll zu spielen, ich war gezwungen zu lernen.» Nur so war es letztlich möglich, dass er sich noch einmal weiterentwickelt. Und wohl auch die nötige Demut aufbringt. Es passt da ziemlich gut, dass er seinen Schwager und früheren Mitspieler bei Kloten, den ZSC-Verteidiger Christian Marti, weniger für dessen physisches Spiel oder tollen defensiven Qualitäten, denn vielmehr für die Einstellung bewundert: «Wie der sich ständig verbessert, beeindruckt mich schwer. Christian ist nie zufrieden, das inspiriert mich.» Man darf davon ausgehen, dass Jorden Gähler ehrlich ist.

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Gähler

Jorden Gähler von den SC Rapperswil-Jona Lakers verteidigt gegen Lausannes Sandro Zangger. Foto: Photopress / Patrick B. Kraemer

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