IIHF Media Guide & Record Book 2011

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Die NHL und ihre "Krankheit"

Von Dennis Schellenberg

Vor der laufenden Saison kam die Liga mit klaren Absichten an die Öffentlichkeit, härter gegen Checks auf Kopfhöhe vorzugehen, nachdem dies in den Jahren zuvor bereits in Europa getan wurde. Die zunehmende Anzahl Gehirnerschütterungen im Eishockey gab dazu Anlass. Nach gut einem Drittel der gespielten Spiele muss man sich allerdings bereits mit sehr vielen Sperren und mit noch viel mehr fragwürdigen Checkszenen auseinandersetzen. Die Liga steuert in die falsche Richtung.

Die grösste Änderung im NHL-Regelwerk wiederfand sich in der Art und Weise wie man gegen Check auf Kopfhöhe vorgehen wollte. Die Liga zeigte in Videoszenarien die verschiedenen verbotenen Checks auf, welche von den Vereinen auch so zur Kenntnis genommen wurden. Ein Check, der von der Seite angesetzt wird (Blindside) und bei dem der Kopf des Gegenspielers das Ziel ist und/oder der Grundsatz des Kontaktes ist, ist nicht erlaubt und soll mit einer fünf Minuten plus Matchstrafe taxiert werden. Dazu kommen eventuelle von der Liga verhängte zusätzliche Verfahrensmöglichkeiten und daraus resultierende Spielsperren. Mit dieser Regeländerung wollte man gegen die vielen Gehirnerschütterungen ankämpfen und ein Zeichen setzen. Denn laut Ligakommissionären sollen um die 50 % aller Hirnerschütterungen von solchen unfairen von der Seite kommenden Checks verursacht werden. Das Schützen des Spielers vor Langzeitverletzungen, die durch Kopfchecks ausgelöst werden und von Karrierenenden bis Lähmungen führen können, war die oberste Priorität auf die Saison 10/11.

Nach etwa einem gespielten Drittel der gesamten Saison kann man eine erste Zwischenbilanz ziehen. Die Absicht der Ligaverantwortlichen mit der neuen Regelauslegung war ein Schritt in die richtige Richtung. Und sie zeigte auch Wirkung. Leider aber nicht so wie man sich dies erhofft hätte. Denn nach durchschnittlich 20 gespielten Runden wurden nicht weniger als 13 Spieler gesperrt und sieben gebüsst, darunter zwei Spieler, die mit einer automatischen Sperre belegt wurden. Bereits zwei von diesen Sperren wurden in den Vorbereitungsspielen verhängt. Einer war beispielsweise das Vergehen von Cammalleri an Nino Niederreiter.

Was aber für viel mehr rote Köpfe sorgt als die hohe Anzahl Sperren in der noch jungen Saison ist die verhältnislose Anzahl aufgebrummter Sperren. So erhielt Blackhawks-Verteidiger Niklas Hjalmarsson für seinen heftigen Bandencheck gegen Jason Pominville nur gerade zwei Spielsperren. Am gleichen Tag wurde Islanders-Verteidiger James Wisniewski für eine obszöne Geste an Sean Avery für genau die gleiche Anzahl Spiele gesperrt. Avery, selbst auch kein Kind von Traurigkeit, konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen während Hjalmarsson-Opfer Pominville mit einer Hirnerschütterung mehrere Spiele verpasste. Ein weiteres Beispiel ist der „Blindside“-Check von Joe Thornton an David Perron, der „nur“ mit zwei Spielen bestraft wurde. Daniel Brière und Olli Jokinen, die beide wegen ähnlichen Cross-Checks in Kopfhöhe gesperrt wurden, mussten drei Spiele zuschauen. Dies fällt manchen Fans, Experten und Teams schwer zu verstehen, speziell wenn man vor dem Saisonstart gegen Kopfchecks „Jagd“ machen wollte. Und Rick Rypien, der kurz an einen provozierenden Minnesota-Spieler geriet, regte sich über die sechs verhängten Spielsperren fürchterlich auf. Nicht zu vergessen Nick Folignos Check an den Kopf von Carolinas Dwyer, der ebenfalls von der Seite angesetzt wurde. Foligno kam allerdings fälschlicherweise nur mit einer Busse davon und dies wohl nur, weil Dwyer nicht auf dem Eis liegenblieb, sondern hinaus fahren konnte. Fasst man also all dies zusammen, dann kommt man zur Schlussfolgerung, dass die Liga sichtlich bemüht ist, eine gute Lösung zu finden. Und natürlich gehen die Meinungen auch unter den Experten und Fans auseinander. Doch die jetzige Situation ist einfach nicht tragbar und die Sicherheit des Spielers ist nicht so gesichert, wie sich dies die Liga wünscht. Weder die hohe Anzahl von verhängten Sperren noch die planlose Anzahl der jeweiligen Sperren ist zufriedenstellend. Kurz gesagt könnte man also sagen: Die Liga geht in den richtigen Weg, doch die Richtung stimmt noch nicht ganz.

Zu allem Übel kommt noch hinzu, dass sich NHL-Vizepräsident Colin Campbell Vorwürfen stellen muss. Er soll vor drei Jahren E-Mails versendet haben, in denen er aussagt, dass Marc Savard (jetzt Boston Bruins) ein Schauspieler sei. Letzte Saison fiel Savard nach einem üblen Blindside-Check von Pittsburghs Matt Cooke lange aus und verpasste über die Hälfte der Saison. Der Kanadier spielt sogar heuer noch nicht aufgrund seiner schweren Hirnerschütterungsfolgen. Cooke kam damals ohne Sperre davon. Einzelrichter bei diesem Fall war ein gewisser Colin Campbell...

Video der NHL zur Unterscheidung von erlaubten und unerlaubten Checks: