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Krueger: "Ich bereue nichts!"

Von Martin Merk

Sean Simpson und Andy Murray kommen, während Ralph Krueger schweren Herzens Abschied nimmt von der Schweizer Nationalmannschaft. Nach dem knappen Viertelfinal-Aus gegen die USA und ein paar weitere Tagen in Vancouver wartet er in der Schweiz auf Ruhe und neue Herausforderungen.

Es muss schwer fallen zu realisieren für Ralph Krueger, dass ein 13 Jahre langer Lebensabschnitt vergangene Woche in Vancouver zu Ende ging. Einen grossen Teil seines Lebens hatte er mit der Nati verbracht. Viele Turniere später und einige Haare weniger ist dies nun nicht mehr sein "Baby".

"Es war eine wunderschöne Zeit und es wird schwierig sein, die zu ersetzen", sagt Krueger. "Das Leben ist nur gut, wenn du Herausforderungen im Leben hast, die dich zwingen zu wachsen und zu lernen. Ich hätte mir keine andere Position vorstellen können, in welcher ich mehr wachsen konnte als bei der Schweizer Nationalmannschaft. Wir drei (Krueger, Kölliker, Lee; Anmerkung) sind jeden Tag aufgestanden und wollten die Mannschaft und Spieler wachsen lassen."

Von 1997 bis 2000 war er in dieser Position tätig mit all den Höhen und Tiefen. "Es war eine wunderschöne Erfahrung und fast schon eine ganze Trainerkarriere. Ich bereue nichts. Wir haben alles getan mit dem Schweizer Eishockey und sind den Spielern dankbar, was sie alles mitgemacht haben, auch wenn wir sie ab und zu gequält hatten", so Krueger.
Krueger war 1997 als ein noch relativ unerfahrener Trainer gekommen, der mit Feldkirch überraschend die Euroliga gewann und dem der Ruf vorauseilte, ein eifriger Motivator zu sein. "Als mich Werner Kohler 1997 ausgewählte, haben er und Peter Zahner Mut gezeigt, einem 38-Jährigen zum Nationaltrainer für die Heim-WM zu machen", sagt Krueger rückblickend. Er war der Beginn einer steilen Karriere mit dem vierten Rang in Zürich und Basel und dem sechsten Rang an der WM 2000 in St. Petersburg.

Ebenso schnell ging es aber auch bachab um das Jahr 2002 herum. Und um den "Bier-Skandal" an den Olympischen Winterspielen 2002, der zum Bruch mit mehreren Stürmerstars führte. Marcel Jenni, Michel Riesen und Reto von Arx konnten nicht mehr ins Team integriert werden für den Rest von Kruegers Amtszeit. "Salt Lake City war der Tiefpunkt. Ich hatte meine Linie als Trainer total verloren und habe gelernt, davon nie mehr abzukommen", blickt Krueger zurück. "Wir haben uns seither immer wieder auf unsere Linie zurückgebracht. Wir sind seit 2003 nie schlechter als Neunter gewesen in neun Turnieren. Nach Salt Lake City ist eine Konstanz eingetreten."

Die Nationalmannschaft ist auf den achten Rang konsolidiert, war zeitweise gar Siebter. Kruegers einst so geschätzte Worte schienen jedoch im Zeitverlauf an Wert zu verlieren. Wie eins Wiktor Tichonow nicht für ewig Trainer bei den Russen sein konnte, verpuffte auch die Wirkung Kruegers gegenüber der Öffentlichkeit nach über einem Jahrzehnt. Gerade bei den Clubs, die nach mehr Macht greifen, wollte man einen Neubeginn. Dieser wurde durch den neugewählten Verbandspräsident Philippe Gaydoul eingeleitet, der einen Sturm über Kruegers Welt entfachte. Am liebsten, so berichteten es die Boulevardmedien, hätte er Krueger schon nach der WM 2009 in der Schweiz loswerden wollen, hatte dafür aber nicht die Unterstützung der Sportfachleute in der Verbandsführung. Letztendlich einigte man sich auf Ende Mai 2010, bis Krueger selbst im Januar seinen vorzeitigen Abgang nach der Olympiade begrüsste als besten Punkt für einen Neustart.

742 SMS habe er nach der rangmässig durchschnittlichen, leistungsmässig aber zufriedenstellenden Olympiade erhalten mit freundlichen Zuschriften, Gratulationen und Verabschiedungen. Von seinem Antipoden Gaydoul kam nichts, aber das, so Krueger, störe ihn auch nicht. Umso mehr kam von den Spielern, von denen er in seiner Leistungsgesellschaft wenig positives Feedback erhielt und erhalten wollte. "Nach dem Aus gegen die USA war das dann alles anders. Sehr viele Spieler sagten aus dem Herzen Dankeschön für die Zeit und nicht nur als Lippenbekenntnis. Das ist das schönste, was du als Trainer hören kannst von einem Spieler", sagt Krueger.

Und selbst wenn der eine oder andere Journalist kräftig an seinem Stuhl zu sägen versuchte, dankte er zum Abschied auch den Medien. "Dank den Journalisten kam meine Message während 13 Jahren durch, auch zu den Spielern", bilanziert Krueger.

Die Entwicklung der Nationalmannschaft vergleicht Krueger anhand von Spielen gegen Kanada. "Ich kann mich erinnern an ein WM-Spiel in Norwegen 1999, als wir in Kanada 8:2 verloren. Es war einer meiner grössten Wutausbrüche die ich je hatte", erinnert sich der Deutsch-Kanadier. "Wenn ich nun schaue, wie diese Truppe in Vancouver Kanada und den USA in die Augen geschaut hat, ist das eine wunderschöne Geschichte. Ein Sieg wäre vielleicht gar zu kitschig gewesen, aber wir haben daran geglaubt, bis zum Schluss der Puck ins leere Tor ging." Und dabei waren von seinem ersten WM-Team 1998 noch sage und schreibe sechs Spieler dabei: Jeannin, Plüss, Rüeger, Rüthemann, Streit, Seger.

Die Schweiz war in Vancouver das wohl bestgecoachte Team Europas. Kein europäisches Team konnte das nordamerikanische Finale verhindern. Hohe Niederlagen waren die Regel, egal ob es nun Deutschland, Finnland, Russland oder Norwegen traf. Nur vier Spiele in europäisch-nordamerikanischen Duellen waren knapp, davon drei mit Schweizer Beteiligung. Die 2:3-Niederlage nach Penaltyschiessen war gar der einzige Punktgewinn einer europäischen Mannschaft gegen den Olympiasieger Kanada. Und auch das Viertelfinalduell gegen die USA war lange auf Messers Schneide.

"Die Schweizer Nationalmannschaft konnte bis neun Sekunden vor Schluss an eine Halbfinalteilnahme beim bestbesetzte Turnier der Welt glauben, das sagt schon sehr viel. Wir waren sicherlich die Mannschaft, die am härtesten gearbeitet und als Team am stärksten aufgetreten ist. Diese emotionale Medaille kann uns niemand nehmen", sagt Krueger.

Dass es trotzdem schon jetzt enden würde, hatte sich in den vergangenen Monaten immer mehr abgezeichnet. Zu tief wurde der Graben zwischen Krueger und der Verbandsführung, auch wenn Krueger es ausliess, sich in Polemik zu stürzen. "Der Zeitpunkt meines Rücktritts war im Mai noch nicht klar, aber innerlich hat es sich immer stärker abgezeichnet und ich bin den Medien auch dankbar, dass dies früh auf den Tisch gelegt wurde, weil es sonst in Vancouver ein Störfaktor gewesen wäre", sagt Krueger. "Dieser Weg zu gehen, hat sich dann erst im Januar abgezeichnet."

Mit der Niederlage gegen die USA ist der Weg nun eingetreten. Plötzlich war er in Vancouver, ohne Arbeit. Mit Zeit, mit Freunden gute Abendessen zu geniessen. Spiele anzuschauen ohne Videoanalysen. Oder mit dem Trikot von Romano Lemm der Schlusszeremonie der Olympiade beizuwohnen.

"Ich merke es an die Reaktion meiner Kinder. Sie hatten unglaubliche Schwierigkeiten damit zu glauben, dass ich nun nicht mehr Schweizer Nationaltrainer bin. Meine Tochter war mit dem Schweizer Dress hier. Wenn meine Kinder das schon als ein Teil des Lebens sehen, kann man sich vorstellen, wie dies erst bei mir ist", versucht Krueger seine Gemütslage zu erklären.

Viele Menschen habe er dabei getroffen und in seinen letzten Monaten viel Anerkennung erhalten, wo er Spiele besuchte. In Bern, in Zürich, ja selbst in Davos, wo er zwar eine Wohnung hat, aber durch den Konflikt mit Reto von Arx und Co. immer wieder Pfiffe in der Eishalle erntete. "Man darf nicht alles persönlich nehmen, was negativ abgelaufen ist, sonst überlebt man in diesem Job nicht", sagt Krueger. "Was jetzt sportpolitisch geschehen ist, kann niemals das wegnehmen, was wir alles erlebt haben."

Und nun, Ralph Krueger? In der Schweiz, sagt er, habe er mit seiner Familie eine neue Heimat gefunden, in der er alt werden möchte. Doch wo wird es ihn verschlagen? In der NLA möchte er vorerst für mindestens ein Jahr nicht unterkommen und Abstand gewinnen von seinem alten Job. "Das Schweizer Eishockey liegt mir zu nahe am Herzen und ich will auch, dass mein Nachfolger Sean Simpson Raum und Chancen hat. Wenn ich hier rumhängen würde, wäre das schwierig für ihn", so Krueger. "Ich möchte ihm den Respekt geben, den mir auch mein Vorgänger Simon Schenk gegeben hat, er hatte mich damals sehr unterstützt bei der Amtsübergabe."

Wohin könnte es ihn denn ziehen? In der deutschen Presse wurden ihm Kontakte zu Clubs nachgesagt, etwa zu Adler Mannheim, die er aber dementierte. Er habe keine Gespräche geführt und weder Zu- noch Absagen erteilt. Könnte er gar in Deutschland, wo er einst Nationalspeieler war, Bundestrainer werden? Der Vertrag mit Uwe Krupp läuft nach der WM aus und Krueger wird als ein möglicher Nachfolgekandidat gesehen, auch wenn beide Seiten verneinen, je Gespräche geführt zu haben.

"Ich bin Deutscher. Meine Eltern kamen aus Deutschland. Eishockey hat in Deutschland eine Zukunft und ich finde es schön, dass man mich als Kandidat sieht, das ist ein Lob an die Arbeit, aber ich habe keine Gespräche gehabt", sagt Krueger zum Thema. "Deutschland hat ein sehr ähnliches Modell, weil fast alle Spieler im eigenen Land spielen. Die Interessen der Clubs steigen natürlich mit den wachsenden Budgets und mehr Marketing. Wir nähern und NHL-Verhältnissen, das macht es für die Nationalmannschaften schwieriger, auch in der Schweiz."

Oder könnte Krueger gar in der NHL landen? Der US-amerikanische Nationaltrainer Ron Wilson, auch Trainer bei den Toronto Maple Leafs, schwärmte in höchsten Tönen von Krueger und hatte ein langes Gespräch. "Ich kann darüber nicht sprechen", bleibt Krueger zum Thema Toronto für einmal wortkarg. In der NHL müsste Krueger unten, als mässig bezahlter Assistenztrainer beginnen, doch Geld spiele ihm mittlerweile keine Rolle mehr. 13 Jahre beim Schweizer Verband haben ihn ohnehin zum Multimillionär gemacht.

"Ich bin momentan ein Fleisch-und-Blut-Nationaltrainer und liebe dieses Leben", sagt Krueger. "Es herrscht hier noch Reinheit im Sport. Viele Spieler sind nur hier wegen der Liebe zum Sport und nicht aus finanziellen Gründen. Es zählt nur ob du einen Schweizer Pass hast und danach die Leistung."

Krueger dürfte nach dem turbulenten letzten Jahr nun etwas abtauchen. Und man darf gespannt sein, wann und wo er wieder auftauchen wird.