Wenn man auf die letzten zwei Saisons des HC Lugano zurückblickt, fällt eines sofort auf: Man sorgte für mehr Schlagzeilen hinter als auf dem Eis, wie es normalerweise sein müsste.
Vor zwei Jahren begann der Gang in die Niederungen der Tabelle (sprich Playouts) mit dem Verkauf des Topscorers Jukka Hentunen nach Russland, komplettiert wurde das ganze durch die Entlassung von Ivano Zanatta, der durch Kent Ruhnke ersetzt wurde. Als man sah dass unter Ruhnke die Mannschaft schlechter spielte zog man die Notbremse indem man den Altmeister John Slettvoll an die Bande zurückholte, doch auch er konnte den Fall in die Playouts nicht verhindern, wo man sich gegen Basel durchsetzte. Unvergessen auch die Gastspiele in der Resega von Dan La Couture und vor allem Anson Carter, der als NHL-Star kam und sich Ende Saison durch die Hintertüre verabschiedete und als ein Riesenflop in die Geschichte des HCL einging.
Zur grossen Überraschung aller wurde dann Slettvoll als Cheftrainer bestätigt, und dank ihm erhoffte man sich endlich mehr Stabilität. Doch kaum hatte die Saison begonnen, holte man sich mit Randy Robitaille einen fünften Ausländer in die Resega, obwohl Slettvoll mit vier in die Saison starten wollte, dies führte zur absurden Situation dass John Pohl als Topscorer auf die Tribüne verbannt wurde, während Robitaille trotz schwacher Leistungen immer spielen durfte. Damit nicht genug kaum hatte das neue Jahr begonnen kam es zu Eklat, John Slettvoll verliess den Verein in einer Nacht und Nebel Aktion ohne Vorankündigung, nachdem er sich vorher erlaubt hatte die graue Eminenz und Mäzen des Vereins Geo Mantegazza zu kritisieren. Als Übergangslösung stellte man das Duo Fontana-Bertaggia für ein Derby an die Bande, anschliessen verpflichtete man Hannu Virta der zusammen mit Bertaggia die Mannschaft bis Ende Saison coachte, und es schien fast als hätte jemand einen Fluch über Spieler und Staff der Bianconeri ausgesprochen, denn man glaubt es kaum, unter dem Duo Virta-Bertaggia bestritten die Bianconeri 19 Spiele ohne ein einziges in der regulären Spielzeit gewinnen zu können ! Immerhin verabschiedete man sich ehrenvoll aus den Playoffs nach sieben Spielen gegen den späteren Meister HC Davos.
Im Hinblick auf diese Saison gab es zwei wichtige Änderungen. Zuerst wurde Paolo Rossi, dessen Arbeitsweise offensichtlich nicht zum Verein passte, durch seinen designierten Nachfolger Silvio Laurenti ersetzt, der sicherlich ein grösserer Know-How und Erfahrung als sein Vorgänger mitbringt, und vor allem holte man Kenta Johansson als Trainer nach Lugano zurück. Johansson war schon als Spieler in Lugano eine Legende, denn zusammen mit Mats Waltin und John Slettvoll war er einer der Hauptverantwortlichen für die grossen Erfolge des Grande Lugano in den 80er-Jahren. Nach seiner Spielerkarriere kehrte er nach Schweden zurück und war als Coach sehr erfolgreich, mit einem Aufstieg in die Eliteserien, einem Meistertitel und der Finalteilnahme mit HV 71 letzte Saison auch wenn ihm dies niemand zugetraut hätte, da die Mannschaft nach dem Meistertitel radikal verjüngt wurde.
Auf dem Transfermarkt waren die Bianconeri dieses Jahr nicht so aktiv wie in den letzten Jahren. Zuerst holte man zwei U20-Internationalen Roman Schlagenhauf und Evgeni Schirjajev, die als grosse Talente gelten,doch sie müssen sich erst noch auf NLA-Niveau durchsetzen. Für die Abwehr wurde mit Johan Akerman ein Routinier geholt, der zusammen mit Petteri Nummelin das Powerplay ankurbeln soll, doch gleichzeitig wird er auch defensiv wertvoll sein. Dazu wurde noch als Ersatz für den nach Russland abgewanderten Patrick Thoresen der US-Amerikaner Jeff Hamilton verpflichtet. In den Vorbereitungsspielen traf er regelmässig und zeigte sich als valablen Ersatz.
In den letzten Wochen gab es auch eine Meldung welche die Fans des HC Lugano in Aufregung versetzte: Petteri Nummelin wurde aus St. Petersburg gelockt, dort wo der Ex-HCL-Coach Ivano Zanatta tätig ist. Wenn man die fürstlichen Gehälter kennt, die in Russland bezahlt werden, war die Gefahr eines Transfers gross. Doch am Schluss konnten die Fans aufatmen, der HC Lugano hat den Vertrag mit dem finnischen Spielmacher bis 2012/13 verlängert und ihm auch einen Job in der Organisation nach seiner Karriere offeriert. Wichtig natürlich ist auch die Tatsache, dass es ihm und seiner Familie im Tessin ausgezeichnet gefällt, und er sich daher entschlossen hat seine Karriere im Dress des HC Lugano zu beenden.
Weitere Pluspunkte für die Bianconeri im Hinblick auf die kommende Saison: Hnat Domenichelli hat endlich den Schweizer Pass erhalten und falls es gesund bleibt, wird er ganz sicher zu einem der Schlüsselspieler, genauso wie Steve Hirschi, der endlich die ganze Vorbereitung mitmachen konnte. Er ist sicherlich einer besten Verteidiger mit Schweizer Pass, defensiv eine Bank und sorgt auch für offensive Impulse. Nicht zu vergessen ist auch die Tatsache, dass diesmal Romano Lemm und Brady Murray bereits zu Saisonbeginn zur Verfügung stehen. Der Schweizer Internationale verletzte sich letztes Jahr im Sommertraining an der Schulter und kam anschliessend nie mehr richtig in Fahrt während Murray erst im Oktober zur Mannschaft stiess. Einzig offene Position ist noch die Personalie Dan Fritsche, wobei realistischerweise damit zu rechnen ist, dass der Center noch Unterschlupf in der NHL finden wird.
Einiges darf man auch von den jungen Matteo Nodari und Mauro Jörg erwarten. Die beiden werden sicher unter Johansson viel Eiszeit und Verantwortung erhalten und einen weiteren Schritt nach vorne machen.
Die grosse unbekannte im Kader der Bianconeri heisst Randy Robitaille, der letzte Saison masslos enttäuschte vor allem durch seine ungenügende Einstellung. Dieses Jahr hat er bereits das Trockentraining im Tessin absolviert und in den ersten Testspielen sah man bereits einen „anderen“ Robitaille am Werk, ein Center der sich auch nicht zu schade war, hinten auszuhelfen. Johansson erwartet viel von ihm. Er soll ein Leader sein, und man darf gespannt sein, wie der Kanadier auf diesen Erwartungsdruck reagieren wird. Der Härtetest folgt dann in den Playoffs.
Kenta Johansson hat seit seiner Ankunft in Lugano versucht, dem Team eine neue Philosophie beizubringen. Die Mannschaft soll unter ihm ein attraktives, modernes Eishockey spielen. Die Basis dazu sind die läuferischen Qualitäten und ein aggressives Forechecking, mit dem man den Gegner unter Druck setzen will. Natürlich wird die Mannschaft Zeit brauchen, bis man diesen radikalen Systemwechsel intus hat, denn unter Slettvoll spielte man genau das Gegenteil, jetzt soll die Mannschaft agieren anstatt zu reagieren.
In einigen Vorbereitungsspielen hat man bereits gesehen, dass diese Spielweise einerseits sehr attraktiv ist, andererseits auch Erfolg bringen kann. Bestes Beispiel war der Sieg gegen Dynamo Moskau, eine sehr spielstarke Mannschaft aus der KHL, die man 5:2 bezwingen konnte, indem man eine Mannschaft sah, die sobald als möglich das Spiel schnell machte und dank dem aggressiven Forechecking diverse Scheiben eroberte.
Sicherlich sind die Vorrausetzungen da, um das Publikum wieder in die Resega zu locken. Wichtig ist einfach, dass man Johansson in Ruhe an seinem Projekt arbeiten lässt. Interessantes Detail: An der Saison-Medienkonferenz waren zum ersten Mal seit Jahren keine lauten Töne mehr zu hören, sondern man hielt den Puck flach.
Doch dies heisst natürlich nicht, dass man in Lugano keine Ambitionen hat. Vor einem David Aebischer, der nur etwas konstanter spielen muss dann gehört er zu den besten Torhütern der Liga, kann man auf eine kompakte Abwehr zählen. Denn nur schon die ersten zwei Paare Hirschi-Nummelin sowie Akerman mit Julien Vauclair können problemlos im Powerplay spielen und im Angriff hat Johansson diverse Optionen offen. Wenn alle Spieler fit sind, hat er praktisch fünf Sturmlinien zur Verfügung und dies kann dem Konkurrenzkampf innerhalb der Mannschaft sicherlich nur gut tun.
Natürlich darf man keine Wunderdinge erwarten, aber es wird interessant sein zu beobachten, wie sich die Mannschaft an die diversen Spielsysteme der NLA anpassen wird und ob man sich im Laufe der Saison steigern kann. Man darf allerdings nicht vergessen, dass die diesjährige Meisterschaft verspricht sehr ausgeglichen zu werden und sechs bis sieben Mannschaften werden um die ersten Plätze mitspielen. Da braucht es wenig, zum Beispiel Verletzungen von Schlüsselspielern, um in der Tabelle einige Plätze zu verlieren. Doch trotzdem glauben wir, dass der HC Lugano unter Johansson die Möglichkeit hat, in der Qualifikation um die Plätze eins bis vier mitspielen zu können.
Pikant ist natürlich die Tatsache, dass man die Saison mit einem Derby in der Valascia startet. Und wenn man weiss, dass die Leventiner erstens gut in die Saison starten wollen und zweitens gegen die Bianconeri immer speziell motiviert sind, wartet schon ein erstes Leckerbissen auf die Tessiner Hockeyfans.