Verschwindet Ambrì von der Bildfläche?

Von Martin Merk

Der HC Ambrì-Piotta steht in der vielleicht schwierigsten Lage seiner Clubgeschichte. Der Sympathieträger aus der Leventina ist akut abstiegsgefährdet und könnte dadurch von der Bildfläche verschwinden wie vor 20 Jahren der EHC Arosa, wenn nicht bald Massnahmen erfolgen.

In Teil zwei unserer Rückschau widmen wir uns einem Club, dessen Saison eigentlich alles andere als beendet ist. Doch er ist in grosser Gefahr, von immer von der National League A zu verschwinden, wenn nicht bald eine Trendwende einkehrt. Das Fortbestehen des HC Ambrì-Piotta hängt von den Entscheidungen in den nächsten zwei bis drei Wochen ab.

In der NLA gibt es zehn Clubs, die ihr Einkommen in der Region generieren. Und es gibt zwei Clubs, die alleine von Fans und Firmen aus der näheren Umgebung nicht leben können. Der HC Ambrì-Piotta und der HC Davos sind nationale Sympathieträger. Bei Davos zeigt sich dies vor allem beim Spengler Cup. Bei Ambrì, wenn Fans aus allen Landesteilen zu Heim- und Auswärtsspiele reisen, um den Mythos zu leben. Und vor sieben Jahren, als der Club letztmals vor dem Aus stand. Damals sammelten Fans aus der ganzen Schweiz 2,5 Millionen Franken, damit die Biancoblù die Lizenz erhielten.

Die Saison des HC Ambrì-Piotta war auf keiner Ebene gelungen. Mitte Oktober begann die sportliche Krise mit einer Serie von acht Niederlagen, seither waren die Leventiner unter dem Strich. Ab Ende November folgten weitere neun Niederlagen in Folge. Und auch danach wurde es nicht wesentlich besser.

Nach der verlorenen Playout-Serie gegen die Rapperswil-Jona Lakers folgte mit dem 0:2-Rückstand gegen den Aufsteiger EHC Biel der nächste Tiefschlag. Dazu gingen die Zuschauerzahlen in den letzten drei Jahren stetig zurück. Zu allem Überfluss trat der gesamte Verwaltungsrat im vergangenen Oktober zurück und verliess das sinkende Schiff. Formell gesehen ist der HCAP seither führungslos. Die Nachfolger werden erst nach dem Saisonende gewählt und stehen rechtlich nicht in der Verantwortung, für das was nun geschieht.

Wer reisst nun das Ruder? Fakt ist, Ambrì ist nur noch zwei Niederlagen davon entfernt, zum Teilnehmer der Ligaqualifikation gegen Lausanne oder La Chaux-de-Fonds zu werden. Die Vorzeichen für jene Serie sind miserabel. Nur noch zwei Ausländer wie in der NLB werden einsatzfähig sein. Eine katastrophale Regel für einen Club, der seit jeher von seinen Ausländern abhängt von Oleg Petrov über Hnat Domenichelli zu Erik Westrum. Um mit Karol Krizan scheint erst noch der erste Ausländerposten für das Tor vergeben zu sein.

Kurz: Ambrì ist akut abstiegsgefährdet und in der Ligaqualifikation nicht der grosse Favorit, der ein NLA-Team üblicherweise ist. Die Situation ähnelt gar jener vom EHC Basel vor einem Jahr. Auch dort hatte man lange zugeschaut und in der Arroganz gelebt, dass die Lage erst in der Ligaqualifikation ernst wird. Nach zwei Niederlagen in der Ligaqualifikation setzte man einen tauglichen Trainer an die Bande, den man sich davor gespart hatte - zu spät.

Die Folgen in Basel: Ein komplett neues Team musste für die NLB bei einem knappen Spielermarkt zusammengefunden sowie Geld gesammelt werden. Die erste Saison endete auf dem neunten Platz. Doch kann auch Ambrì in der NLB überleben? In Ambrì hat es 200 Einwohner, nicht 200 000, und entsprechend wenig Geldgeber für "Provinzhockey". Die Fanmassen aus dem gesamten Kanton und der Deutschschweiz liessen sich für NLB-Hockey kaum mehr zusammentrommeln. Ein Budget für einen sofortigen Wiederaufstieg wäre relativ unwahrscheinlich. Und ob der Dorfclub längerfristig in der NLB überleben kann, ist fraglich. Eine regional naheliegende Lösung als Farmteam von Lugano wäre der Verkauf der Seele und würde den Mythos Ambrì definitiv verschwinden lassen. Jener Mythos, der es dank eines englischsprachigen Artikels eines hockeyfans.ch-Autors diese Saison gar bis in die New York Times schaffte.

Wahrscheinlicher wäre hingegen, dass Ambrì bei einem Abstieg früher oder später ins Amateurhockey verschwinden würde, weil der Club heutzutage nur als überregionaler Mythos in der NLA halbwegs finanzierbar ist. Damit ginge das Thema des Dorfclubsterbens aus den 90er-Jahren wieder los. Ein Thema, das eigentlich schon in den 30er-Jahren begann, als durch den Bau von Kunsteisbahnen in Zürich und Basel, sowie später in Bern und Genf Bergclubs wie St. Moritz oder später Arosa durch Stadtclubs von der Spitze verdrängt wurden.

Nun ist Ambrì von dem gleichen Schicksal bedroht, wenn der sportliche Trend den Club weiter in den Abgrund führt. Die einzige Frage ist, wie bald diese Existenzbedrohung in der Leventina realisiert wird und zu personellen Änderungen führt.