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Gespräch mit dem IIHF über NHL-Verträge, Lockout, Champions Cup und Schiedsrichter-Austausch

Von Martin Merk

In einer Gesprächsrunde orientierte der internationale Eishockeyverband IIHF über aktuelle Themen des internationalen Eishockeys. Thema waren vor allem der Lockout, die NHL-Verträge, das ausgelaufene Transfer-Vertragswerk zwischen diesen beiden "Hockey-Welten", die NHL-Spieler und Olympia 2006, der European Champions Cup sowie das Schiedsrichter-Austauschprogramm und mögliche Regelanpassungen.

Stand NHL-IIHF/Lockout

Aktuell sind 352 NHL-Spieler in Europa tätig, die meisten mit Ausstiegsklausel, falls der Lockout doch noch beendet werden sollte, wovon aber kaum jemand mehr ausgeht. Die NHL-Verträge werden wegen dem Lockout sowieso angezweifelt. Die Anwälte gehen davon aus, dass sie von Spielerseite her sistierbar oder kündbar sind. Jaromir Jagr hat davon bereits Gebrauch gemacht für sein Engagement in Russland. Ein verspäteter NHL-Saisonbeginn würde also ohne ihn stattfinden. Doch von NHL-Spielen in dieser Saison sprechen nicht einmal mehr die Optimisten. Beim IIHF erwartet man vor Playoff-Beginn in Europa eine Welle an NHL-Spielern sowie im Hinblick auf die kommende Saison.

Weil zwischen der NHL und der Gewerkschaft NHLPA eine Einigung über den Gesamtarbeitsvertrag ausser Reichweite ist, gilt dies auch für den ausgelaufenen Vertrag zwischen der NHL/NHLPA und dem IIHF bezüglich Transfers. Es gab zwar schon Gespräche zwischen dem IIHF und der NHL darüber, jedoch noch keine konkrete Ergebnisse. Für Änderungen sprechen derzeit zwei Stossrichtungen. Einerseits sind die russischen Clubs unzufrieden über die tiefen Transferentschädigungen für Topspieler. Im Schnitt gehen rund 220'000 Dollar als "Entwicklungshilfe" nach Europa pro Spielertransfer zur NHL, so kamen letzte Saison etwa 10 Millionen Dollar zusammen. Die Gegenleistung der europäischen Clubs war neben der Ausbildung der Spieler auch die Möglichkeit, dass die Spieler bis zur berühmten Deadline Mitte Juli ihre europäischen Teams trotz Vertrag verlassen durften.

Zuwenig ist das Geld aber für die Russen. Nach Ablauf des NHL-IIHF-Vertrages kam es etwa zum ersten direkten Transfer zwischen zwei Clubs. Für den Nummer-10-Draft Andrej Kostizin konnte ZSKA Moskau 300'000 Dollar von den Montréal Canadiens aushandeln. Für den letztjährigen Nummer-1-Draft Alexander Ovechkin fordert Dynamo Moskau gar drei Millionen Dollar von den Washington Capitals.

Beim IIHF will man dagegen vor allem in die Richtung gehen, dass nicht "überflüssige Spieler" von Europa weggeholt werden und dann in untere Ligen versauern, sondern dass die NHL-Clubs nur wirklich talentierte Spieler holen und sich auch besser Gedanken darüber machen, welche dies sind. Neu ist deshalb eine zusätzliche Entschädigung an den IIHF für Spieler mit zuwenig NHL-Spielen geplant. "Dieses Geld könnte man dafür verwenden, für sehr gut eingestufte Spieler wie Ovechkin oder Malkin eine zwei bis drei Mal höhere Entschädigung auszuzahlen", so der IIHF-Präsident René Fasel. Womit wohl auch die Russen zufrieden gestellt wären.

Stand Olympia 2006

Bald werden die drei letzten Olympia-Teams in der Qualifikation bestimmt, wobei auch die Schweiz auf eine Teilnahme hofft. Die Frage, ob auch die Weltklasse-Spieler aus der NHL teilnehmen, scheint sich etwas zu Gunsten der Olympischen Spiele zu wenden. Zwar plant die NHL hinter vorgehaltener Hand aus wirtschaftlichen Gründen ohne Olympia-Pause, jedoch steht sie dafür selbst in Nordamerika nach den guten Erfahrungen 1998 in Nagano und 2002 in Salt Lake City unter Kritik. Dies nicht zuletzt von Spielerseite her. Einige Spieler sollen bereits gedroht haben, zu Gunsten der Olympischen Spiele in Europa zu bleiben oder als "Vertragsspieler" sich dem Team Canada anzuschliessen, um Torino 2006 nicht zu verpassen. Sollten sich die NHL und die NHLPA also wenigstens für die kommende Saison einigen, dürfte auch die NHLPA ihr Wörtchen um eine Olympiapause mitreden.

Was ein vorzeitiges Kader anbelangt, wie man es bisher kannte, möchten die betroffenen Verbände für 2006 lieber auf eine Deadline verzichten wegen der NHL-Unsicherheit. Man glaubt noch an eine Teilnahme der NHL-Stars in Turin und möchte sich bis zuletzt entsprechende Optionen offen halten.

Zu zahlen wären dann nur noch entsprechende Versicherungssummen. 2002 in Salt Lake City wurde eine Lohnsumme von rund 600 Millionen Dollar für 2,6 Millionen Dollar versichert.

Fazit und Ausblick European Champions Cup

Eine zufriedene Bilanz zieht der IIHF aus dem neuen Europacup-Turnier, das es aber noch zu etablieren gilt. Dies sieht man am besten daran, dass selbst dem IIHF-Präsidenten eingeflüstert werden musste, dass man beim IIHF das Turnier "ECC" (European Champions Cup) nenne und nicht mehr unter dem begrabenen Projektnamen "Super-6". René Fasel schwärmte vom Finalspiel zwischen Avangard Omsk (Russland) und Kärpät Oulu (Finnland), welches der NHL-Superstar Jaromir Jagr mit seinem Siegestreffer in der Verlängerung 2:1 für die Russen entschied. "Es ist das beste Spiel, das ich diese Saison gesehen habe", so Fasel, der auch am Spengler-Cup weilte und die Schlussphase der U20-WM sah. Zwar hätte er gerne eine bessere Fernseh- und Medienabdeckung gehabt. Doch weil für das Turnier die russische Superliga pausierte, gab es zumindest hohe Quoten in Russland.

Trotzdem waren alle glücklich. Oder zumindest fast. Vielleicht wären die stolzen Schweden, welche ihre Liga gerne als die Nummer 1 in Europa sehen und deshalb jahrelang europäische Turniere boykottiert hatten, über eine tiefere Niederlage als das 0:9 gegen Omsk glücklicher gewesen. Dafür sahen die nur 7500 Zuschauer immerhin neun Tore in jenem Spiel. Das eine schöner als das andere, wie Fasel schwärmt. Russische Puckkunst vom Feinsten also. Und natürlich auch die Schweiz zählt zu den weniger glücklichen "Beteiligten". Die Schweizer, vertreten von Willi Vögtlin, waren bei den Gesprächen der Top-7-Ligen zur Gründung des European Champions Cup auch dabei. Und wie es in der Natur der Sache liegt, muss eines der sieben Länder bei einem Turnier für sechs Nationen in den sauren Apfel beissen.

Dass dies die Schweiz traf, ist sicher nicht ganz glücklich. Würde man eine Ligarangliste basierend auf die Europacup-Resultate der vergangenen Jahre machen wie etwa im Fussball, so wäre die Schweizer NLA zweifellos vor der Deutschen DEL oder der slowakischen Extraliga klassiert, also mindestens die fünftbeste Liga Europas. Die Klassierungsvergleiche seit 1998 zwischen NLA- und DEL-Teams stehen 4:1 für die Schweiz, gegen die Slowakei 7:1. Eine Europacup-Rangliste, erstellt einzig und alleine aus den Europacup-Klassierungen (im Mittel) der vergangenen sieben Jahren inklusiver dieser Saison mit stärkerer Gewichtung der EHL/ECC gegenüber dem Continental-Cup würde in etwa folgendes Bild ergeben: 1. Russland, 2. Finnland, 3. Tschechien, 4. Schweiz, 5. Schweden, 6. Deutschland, 7. Slowakei, 8. Grossbritannien, 9. Norwegen, 10. Ungarn, 11. Italien, 12. Weissrussland, 13. Polen, 14. Kasachstan, 15. Ukraine, 16. Frankreich, 17. Österreich, 18. Slowenien, 19. Lettland, 20. Dänemark. Zumindest dass die sechs erstgenannten Nationen zu den sportlich und wirtschaftlich sechs stärksten Ligen Europas zählen, bezweifelt kein Eishockey-Experte. Doch der IIHF konnte keine solche Rangliste als Kriterium erstellen, zu zerstritten waren die Teilnehmer zum Thema eines "Meistercups", zu viele Lücken würden die Berechnungen umstritten machen.

"Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden", erklärt Federico Saviozzi, beim IIHF für die europäischen Clubturniere verantwortlich, die Problematik des ECC. In erster Linie ist man überhaupt froh, nach dem Aus der European Hockey League (EHL) vor fünf Jahren wieder ein Turnier zu haben und dies erstmals auch wieder mit dem Meistern aus Schweden und Tschechien, welche den weniger gut besetzten Continental-Cup ausnahmslos boykottiert hatten nach dem EHL-Aus, während andere ihn zum Alternativturnier verhalfen. Damit wenigstens halbwegs etwas zustande kam, einigten sich die Ligavertreter darauf, dass man die Vierjahres-Weltrangliste der Nationalteams als Kriterium nimmt. Zum Leidwesen der Schweiz, welche derzeit nur auf Rang 7 klassiert ist. Doch für die kommende Saison ist Licht im Dunkeln. Zu Deutschland fehlen in der neuen Rangliste nur 35 Punkte. Das heisst: Zwei (ev. sogar einer) Plätze besser als die Deutschen an der WM 2005 in Österreich und die Schweizer hätten den Platz in St. Petersburg erobert. Doch für den IIHF gibt es ein wirkliches Schreckensszenario. Denn Lettland ist mit den Schweizern punktegleich in der Vor-WM05-Rangliste. Ein kaum konkurrenzfähiger lettischer Meister am hochdotierten Turnier zu St. Petersburg? Toll für die Stimmung in der Halle nahe zu Lettland, dafür ein sportlicher Tiefschlag für die IIHF-Pläne. Im Continental-Cup etwa schafften es die lettischen Spitzenclubs nicht einmal in die zweitletzte Runde, scheiterten an Gegnern aus Polen, Kasachstan, Frankreich, Slowenien, Weissrussland, der Ukraine oder der zweithöchsten finnischen Liga. Kein Wunder, macht sich Unsicherheit breit in IIHF-Kreisen, wenn man die lettischen Aussichten auf einen Platz am European Champions Cup anspricht. Sollte das Szenario nach der WM 2005 eintreten, ist nicht ausgeschlossen, dass ein Qualifikationsturnier zwischen den Meistern der europäischen Weltranglisten-Nationen fünf bis acht (derzeit Deutschland, die Schweiz, Lettland und Österreich) ausgetragen wird für den sechsten Platz. Eine Art "Lex Latvia" also. Kein Thema ist wegen zu vielen Spieltagen allerdings die Erweiterung auf acht Mannschaften. Und hierbei sieht man die Problematik einer Länderspielrangliste für einen Clubwettbewerb. Doch für den Anfang muss man dafür wohl einfach Verständnis aufbringen. Es war das am einfachsten durchsetzbare Mittel, um wenigstens für drei Jahre ein Turnier zu haben.

Ein gewichtiges Thema ist dafür, wie man das Turnier populärer machen kann. Das Ziel, dass die wichtigsten Ligen Europas für die "Champions League des Eishockey" an einem Wochenende pausieren, kam nicht zustande. Die Ligen sind daran nicht interessiert. Aus der NLA liess man auch im Falle einer Schweizer Teilnahme ausrichten, dass eine Pause an einem Januar-Wochenende absolut unmöglich sei. Ein Thema beim IIHF war die Austragung des Turniers konkurrenzierend zum Spengler Cup Ende Dezember, doch hat man vor diesem Vorhaben abgesehen.

Klar ist auf jeden Fall das Fernziel: Man möchte das beste europäische Clubteam dereinst gegen den Stanley-Cup-Sieger spielen lassen. Wie einst vor Jahrzehnten die Montréal Canadiens und ZSKA Moskau sich zu Zeiten des kalten Krieges heisse Duelle lieferten.

Erfreut ist man in Europa beim IIHF, dass die Entwicklung im asiatischen Clubhockey gut verläuft. Die Asienliga mit Teams aus Japan, China, Südkorea und dem Fernen Osten Russlands ist bislang ein Erfolg und dürfte nächste Saison erweitert werden.

Schiedsrichter-Austausch und Regelauslegung

Zufrieden ist man bislang mit dem Schiedsrichter-Austauschprogramm - auch wenn es hie und da Kritik in den Schweizer Medien hagelte, gab es auch viel Lob. Eine umstrittene Symbolfigur dafür ist etwa der Schiedsrichter Sergej Karabanov. Letztes Wochenende befand der Servette-Trainer Chris McSorley über den Russen mit schlechten Englisch-Kenntnissen und entsprechenden Kommunikationsproblemen (!), man solle ihn schnellstmöglich nach Russland zurückfliegen. Genau drei Monate zuvor wurde Karabanov in der schwedischen Presse in den Himmel gelobt und als Erlöser gefeiert, der in Schweden endlich die Regeln strikt durchsetzen konnte. "Wow... er pfiff das Spiel nach dem Regelbuch", titelte eine schwedische Zeitung. "Eine russische Schiedsrichter-Revolution - so sollte Eishockey in Schweden gespielt werden", war ebenfalls als Überschrift in der Presse zu lesen. Wie unterschiedlich doch die Meinungen zur ein und derselben Person sein können. Ziel des IIHF ist jedoch die "schwedische Version" der Beurteilung. Der IIHF-Präsident René Fasel, früher selbst Schiedsrichter: "Wir wollen nicht, dass unser Sport in ein Skilift-Fahren endet." Damit spricht er speziell Strafen wie Halten und Haken an, welche zwar bestraft werden sollten, jedoch nicht nur in Schweden, sondern auch hierzulande, oft grosszügig übersehen werden und eine beim IIHF ungeliebte Spielkultur entgegen dem Regelbuch fördern.

Dave Fitzpatrick, der Sportdirektor beim IIHF, hat auch schon seine Visionen, wie sich der Schiedsrichteraustausch weiterentwickeln sollte. "Die Anzahl von derzeit 140 Spielen in Europa (davon 20 in der NLA) wollen wir Jahr für Jahr erhöhen. Ziel ist eine Optimierung zwischen den sieben Ligen mit dem Gefühl für die Regelauslegung sowie den kulturellen Erfahrungen der Schiedsrichter." Der Traum von René Fasel: Ein Pool an 12 bis 14 europäischen Profi-Schiedsrichtern für die Top-7-Ligen. Derzeit gibt es in Europa erst drei Profi-Schiedsrichter - allesamt in der Schweiz.

Weniger flexibel ist man bezüglich Regeländerungen, nachdem man den Meilenstein des gestrichenen Redline-Offsides - das in Nordamerika wie auch das Touch-Icing umstritten ist und zu einer Angleichung an Europa führen könnte - hinter sich gebracht hat. Ebenfalls aus Nordamerika kommen Ideen gegen die Torflaute. Sprich die Vergrösserung von Toren und die Verkleinerung von Torhüterausrüstungen. Nicht gerade zur Freude der Torhüter, welche mit weniger Ausrüstung ihre Gesundheit gefährdet sehen. Anders sieht dies Fitzpatrick, der selbst Torhüter war. "Wir wollen verhindern, dass Torhüter über die Ausrüstung wachsen und streben eine Standardisierung an", so der Kanadier. Dabei vergleicht er gerne mit seiner Aktivzeit, als er nahezu ohne Ausrüstung auf Puckfang ging. Dass auch beim IIHF eine standardisierte, dünnere Ausrüstung im Gegensatz zu Änderungen am Torgehäuse ein Thema ist, bleibt somit ein offenes Geheimnis.

Sonst möchte man aber nicht zu viele nordamerikanische Trends aufgreifen. "Wir haben in Europa eine eigene Hockeykultur", befindet René Fasel. Dies gerade, was das phyische Spiel anbelangt. In nordamerikanische Ligen etwa sind Schlägereien ein Teil der Unterhaltung für die Fans und werden vom Reglement auch nicht so hart sanktioniert. Fünfminuten-Strafen gibt es, doch eine Spieldauer-Disziplinarstrafe folgt nur in Ausnahmefällen. Dass man dies auch in den IIHF-Ligen übernehmen könnte, schliesst Fasel kategorisch aus: "Wir wollen keine Fights. Sie gehören zwar in gewissem Masse zum Spiel. Wir wollen aber keine Auswüchse wie in anderen Ligen."

Positiv kam die Regeländerung auf eine Verlängerung mit jeweils vier Feldspielern an. Sie gilt als gute Kompromisslösung zwischen den Befürwortern, die nach 60 Minuten direkt ein Penaltyschiessen wollen und jene, die eine gewöhnliche Verlängerung wollen - speziell bei den Trainern, welche die Penalty-Lotterie nicht so lieben.

Noch offen ist beim IIHF, wie man mit dem Punktesystem weiterfährt. Das Dreipunktesystem, wie man es für die European Hockey League eingeführt hatte und auch von diversen Ligen (Schweden, Tschechien, DEL) übernommen wurde, hatte beim IIHF zuletzt ausgedient. Nun denkt man aber wieder über eine Einführung eines ähnlichen Systems nach. Ein Sieg nach Verlängerung soll dann zwei, eine Niederlage nach Verlängerung aber immerhin einen Punkt geben. Ein Sieg nach 60 Minuten gäbe dann entweder zwei Punkte (Spengler-Cup-System) oder drei Punkte (EHL-System). Vorerst bleibt aber etwa bei Weltmeisterschaften alles beim Alten.




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